Ausverkaufte Vorstellungen, feiernde Kritiker und begeistertes Publikum. Andreas Schager hat sich von einem Chorsänger aus der Kleinstadt Rohrbach an der Gölsen zu einem weltbekannten österreichischen Heldentenor verwandelt. Wie Opernsänger:innen so lange so laut singen können, was der weltbekannte Opernsänger in seiner Freizeit für Musik hört und was das Besondere am Komponisten Richard Wagner ist – all das und mehr hat mir Andreas in einem sehr entspannten Gespräch beantwortet.
* Sag Andreas, wie bist du zur Oper gekommen?
Das war ein „Learning by doing“, wobei sogar mehr ein „heranlassen“. Durch das Chorsingen über die Wiener Singakademie bin ich quasi in dieses Genre eingetaucht. Es hat immer mehr Besitz von mir ergriffen, sodass sich irgendwann gar nicht mehr die Frage stellte, ob ich das machen möchte. Es wurde zur Tatsache, dass ich es mache. Dann habe ich meine ersten Solos bekommen und das ist eigentlich immer mehr geworden. Das war insgesamt ein Prozess von gut 3-4 Jahren.
Wenn du’s überlebst, bist du’s!
* Und wie wird man Opernsänger*In?
Die Ausbildung funktioniert eigentlich ganz klassisch: Man sucht sich eine/n Gesangslehrer:in und lässt sich ausbilden. In meinem Fall war es ein bisschen anders. Als ich auf die Hochschule zu Prof. Walter Moore gegangen bin, kein Gesangslehrer, sondern ein Liedprofessor – sang ich ihm meine ersten Lieder vor. Er meinte dann, ich solle zu ihm in die Klasse kommen und sagte mir, ich solle mir „hier keinen Gesangslehrer nehmen“. Für mich war es ein guter Ratschlag. So habe ich mich immer an verschiedenen Seiten orientiert und nie versucht, mir zu sagen „Das ist der eine richtige Weg“. Ich habe mit Kollegen gesprochen, mit Professoren, hier und da ein paar Stunden genommen. Man könnte sagen ich habe mich so durchgewurstelt, aber immer mit der Frage „Tut mir das gut?“ im Hinterkopf. Dazu kommt, dass ich ein Sturschädel bin. Letztendlich waren es aber wahrscheinlich Emotion, Bauchgefühl und selbst den eigenen Weg zu gehen, die mich hier hergeführt haben.
* Du wirst immer als Heldentenor beschrieben. Was bedeutet das genau?
„Heldentenor“ ist eine Bezeichnung, die von außen herangetragen wird, das entscheidet man (leider) nicht selbst. Einerseits entscheiden es die anderen, andererseits die Rollen, die man singt. Wenn man zum Beispiel mit Florestan und Max beginnt und später vielleicht die großen Wagner-Rollen wie Parsifal, Stolzing, Tristan und Siegfried singt – dann ist man in diesem Genre Heldentenor drinnen. Ein bisschen nach dem Motto „Wenn du’s überlebst, bist du’s!“ (lacht).
* Was hat es damit auf sich, dass Opernsänger*Innen hohe Töne oft sehr lange halten?
Das ist eher eine sportliche Sache – das hat sich irgendwann so herauskristallisiert, genauso wie das hohe C bei der Arie bei „Che gelida manina“ aus La Bohème. Da ist das hohe C ja nicht notiert, aber jeder Sänger wird gnadenlos ausgebuht, wenn er es nicht singt. Irgendwann im Lauf der Zeit hat sich da also so eine sportliche Herausforderung aufgestellt. Absolut unmusikalisch, aber irgendwie trotzdem geil (lacht). Heute merke ich, dass Dirigenten wieder entspannter mit dieser Sache umgehen, aber es hat mal eine Zeit gegeben vor zirka 10-15 Jahren, wo man als Sänger wahrscheinlich gegeißelt worden wäre, wenn man so eine Note länger als 5 Sekunden gehalten hätte.
Absolut unmusikalisch, aber irgendwie trotzdem geil!
Pavarotti hat daraus eine Meisterschaft entwickelt, vor allem mit der Arie aus Die Regimentstochter mit ganzen neun hohen Cs. Am Beginn meines Studiums habe ich mir diese Arie angehört und mich gefragt, was das faszinierende an Pavarotti ist. Warum will man nach dieser Pavarotti-Arie aufspringen, die Hände in die Höhe reißen und in die Luft springen, während man sich bei anderen einfach denkt „Ja das ist eh interessant und toll“? Für mich ist es als Zuhörer so, dass man, wenn man intensiv zuhört, mit dem Sänger mit atmet und -singt. Ich meine, warum hört man sich denn überhaupt einen klassischen Sänger an? Weil er irgendwas einfach mehr kann als man selbst. Er ist quasi wie ein Pilot, der dich eine Zeit lang mitnimmt und du darfst neben ihm sitzen und im Geiste mitlenken.
Wenn man einen Ton sehr lange hält, wie das Pavarotti mit dem letzten hohen C in der Regimentstochter gemacht hat, dann bringt das eine Unruhe in die Zuhörer:innen hinein und es stellt sich plötzlich die Frage „Wie macht er das?“. Wenn er dich dann endlich erlöst, also den Ton zu Ende bringt, ist man innerlich so begeistert, dass man einfach zu jubeln beginnt.
* Hast du dieses Phänomen auch schon erlebt?
Aber klar! Ich mache mir ja auch immer einen Sport aus diesem Wälse-Ruf. Ich singe und halte den Ton so ungefähr 8 bis 10 Sekunden. Dann merke ich, dass das Publikum beginnt unruhig zu werden. Mit jeder Sekunde holt man das Publikum mehr her, es entsteht immer mehr Unruhe. Sie wollen ja mit dir mitsingen, aber du lässt sie nicht atmen, sozusagen – und daher sind sie einfach immer begeistert!
Einmal bin ich für Jonas Kaufmann in Baden Baden für die Walküre eingesprungen (Siehe auch hier). Da war ich noch ganz am Anfang meiner Karriere und das Erste, was ich gespürt habe, war diese Enttäuschung: Natürlich jeder will den Kaufmann hören und dann kommt plötzlich so ein Schager daher und keiner kennt ihn. Aber ab dem Wälse-Ruf ist die Enttäuschung einer Neugier gewichen (lacht). Als Sänger habe ich das schon sehr deutlich gespürt.
* Wie kannst Du eigentlich so lange am Stück so laut singen? Bei Tristan und Isolde stirbst du ja zum Beispiel 45 Minuten lang singend. Wie wirst Du da nicht heiser?
Gute Frage. Zum einen ist es natürlich Training. Diese interne Muskulatur rund um die Stimmbänder besteht aus ganz feinen Muskeln, die natürlich trainiert werden wie jeder andere Muskel auch. Das ist das eine – das zweite ist die richtige Technik. Durch Schreien wird man heiser, das weiß jeder, der schonmal am Fußballplatz mitgeschrien hat. Nach 20 Minuten geht da nichts mehr. Die wichtigste Sache beim Singen ist für mich, dass man immer von der Emotion ausgeht: Das heißt, dass ich nicht nachdenke, wie ich den Ton produzieren muss, sondern den Ton aus einer Emotion heraus singe.
Man kann sich das gut von Babys abschauen. Unser Lorenz ist jetzt bald 3 Jahre alt, die letzten Jahre konnte ich das gut verfolgen: Babys schreien oft sehr, sehr lang und machen sozusagen ihre eigenen Wagner Opern. Sie werden ja auch nicht heiser und man erkennt an der Art des Schreiens, ob es Hunger oder Schmerzen hat. Das heißt, sie haben quasi „die richtige Technik“, machen sich aber nicht darüber Gedanken. Sie lassen einfach ihren Emotionen freien Lauf und genau das ist das Wichtigste! Vor allem bei diesen Monster-Rollen wie Tristan oder Siegfried.
Das sind die Urinstinkte des Menschen, da muss man beim Singen wieder hinkommen.
Gerade Tristan bietet ja auch so wahnsinnig viele Emotionen. Vor allem im dritten Akt, wo Tristan nur mehr mit dem Tod kämpft, ihn nahezu herbeisehnt und einfach nicht sterben kann. Es ist unglaublich was sich da tut. Wenn man da nur diese Emotionen laufen lässt, dann ist man am richtigen Weg.
* Ich weiss noch als ich dich in Rom als Tristan gesehen habe: Da hast du so halb liegend 45 Minuten lang gesungen und mein Gedanke war u.a. „Bitte lasst ihn doch endlich sterben!“
(lacht) Ja das hab ich mir damals auch gedacht, vor allem weil ich damals nicht ganz gesund war. (lacht) Aber es hat dann trotzdem irgendwie dazu gepasst. Wir verkörpern auf der Bühne ja jemanden und vielleicht ist es auch gerade deswegen umso authentischer: Tristan kann da nicht mit voller Stimme da in dem Hoch leben, weil er zu diesem Zeitpunkt ja schwer verletzt ist. Wenn man da selbst ein bisschen angeschlagen ist, macht das vielleicht etwas für die Interpretation.
* Es gibt ja das Libretto, in dem der Text der Oper aufgeschrieben ist. Wie streng muss man sich daran halten?
Theoretisch sehr. Wobei, es gibt ja beim Libretto auch verschiedene Fassungen. Man darf aber auch nicht immer den Text singen, der im Libretto steht. Zum Beispiel: Als ich in New York an der Metropolitan Opera Siegfried gesungen habe. Da heißt es im Libretto irgendwann „wohin mein Führer mich wies„. Das durfte ich so nicht singen und musste es austauschen mit „wohin mein Vöglein mich wies.“ Also manchmal spielt uns auch die Politik einen Streich (lacht).
* Hast Du einen Tipp für Oper-Neulinge, womit man bei Wagner beginnen sollte?
Man darf sich nicht abschrecken lassen von Wagner. Ich sage immer, man soll reingehen und das wirken lassen wie Filmmusik. Arien suchen bringt nichts, weil die gibt dir Wagner kaum oder nur in den frühen Werken. Das Geheimnis ist, im Vorhinein schon die Ängste wegzunehmen, in die Musik einzutauchen und es wirken zu lassen. Das ist nicht nur bei Musik, sondern generell eine wichtige Einstellung im Leben.
Das ist übrigens auch wichtig für die Leute, die eine Oper zum 100sten Mal gehört haben. Da kommen nämlich immer gewisse Ansprüche auf, wie „Das muss klingen wie bei der Aufnahme von 1970“. Auch da muss man immer wieder die Vorstellungen weglassen, sich öffnen und dem Ganzen eine Chance geben. Man merkt dann relativ schnell, ob es einen packt oder nicht.
Das Wichtigste ist einfach offen zu sein und ohne Vorurteile reinzugehen. Dann kann man schauen, ob es einen packt oder nicht. Und wenn es einem wirklich zu lang ist, dann geht man halt in der Pause.
Für Wagner ist finde ich Siegfried eine gute Oper zum Einstieg. Siegfried ist ja sozusagen die Operette von Wagner. Oder auch seine frühen Opern: Meine Familie hat zum Beispiel mit Wagner gar nichts am Hut, meine Schwester ist aber von Rienzi absolut begeistert. Als Einstiegsoper würde ich die jetzt nicht empfehlen, aber bei manchen ist es dann doch das richtige – auch wenn sie 4-5 Stunden dauert.
* Mein persönlicher Liebling ist ja Der Fliegende Holländer. Filmmusik, Piratengeschichten und Drama, alles in einer für Wagner doch recht kurzen Oper.
Das ist auch eine fantastische Oper, vor allem wenn sie gut inszeniert ist!
* Hast Du noch einen Überblick, welche Rolle du bis jetzt am häufigsten gesungen hast?
Ich glaube im Wagner-Bereich Siegfried und Tristan. In meinem ersten Leben als Sänger, in meiner Operettenzeit, ist es wahrscheinlich Adam im Vogelhändler, den ich sehr oft gesungen habe.
* Lieblings-Oper und -Rolle: 3, 2, 1 – GO!
Puh, schwierig – es sind nämlich eigentlich immer die, die ich gerade mache. Man taucht komplett in diese Welt ein: Zum einen emotional, zum anderen ganz stark musikalisch. Und gerade da ist ja Richard Wagner ein unglaubliches Genie, das dich nicht mehr loslässt.
Psychologisch und musikalisch ist meine Lieblings-Oper wohl Parsifal, jetzt wo ich so entspannt darüber nachdenke und situationsbedingt keine andere Oper vorzubereiten habe. Das ist psychologisch die Oper, die mich am meisten packt. Was mir bei Parsifal besonders Nahe geht, ist der Umstand „durch Mitleid wissend“. Ich glaube, unsere Gesellschaft verzweifelt sehr daran, dass sie versucht, Wissen anzuhäufen. Wissen, das vor uns liegt und sowieso sehr oft revidiert oder über den Haufen geworfen wird. Dabei macht das nur einen ganz kleinen Bruchteil unseres Menschseins aus. Was Parsifal wie keine andere Oper aufzeigt ist, dass „durch Mitleid wissend“ die Wichtigkeit ist, empathisch durch das Leben zu gehen und auch die eigenen Fehler zu entdecken. Parsifal macht diese Wandlung, die wir in unserem Leben auch immer wieder machen sollen und dürfen, ebenso durch.
* Und Dein Lieblings-Komponist?
Wenn ich die ersten Takte Parsifal höre, dann bin ich schon in einer anderen Welt und kann mir gar nichts anderes mehr vorstellen. Und das geht mir bei anderen Rollen genauso. Ganz stark ist das auch bei Richard Strauss, ob das Ariadne auf Naxos oder Die ägyptische Helena ist. Aber bei Wagner ist das immer noch ein bisschen mehr – darum würde ich auch die Frage des Lieblingskomponisten, als Heldentenor ganz langweilig, mit Richard Wagner beantworten.
Wir müssen alle unsere eigenen Erfahrungen machen, unseren eigenen Drachen erschlagen.
* Einmal geht noch: Hast Du eine Lieblings-Arie?
Meine Lieblingsarie sind für mich ganz klar die Schmiedelieder aus Siegfried, weil sie für mich einfach mit einer unglaublichen positiven Lebensenergie an die Sache herangehen. Dieses ganz ursprüngliche raus in die Welt, weg von daheim, raus aus dem behüteten, „gehassten“ Elternhaus. Wir müssen alle unsere eigenen Erfahrungen machen, unseren eigenen Drachen erschlagen. Das ist in dieser Arie ganz stark drinnen. Vor allem jedoch eines: Wir müssen unser Schwert selbst schmieden. Es nützt nichts, wenn wir von jemand anderem das Schwert bekommen. Nein, wir müssen es selbst schmieden und damit in die Welt hinaus gehen. Die Schmiedelieder sind psychologisch sehr interessant, aber sie funktionieren auch so gut, weil sie so wahnsinnig rhythmisch sind. Das Schmieden des eigenen Schwertes ist in die Musik eingebaut und begeistert das Publikum einfach immer. Wir haben das damals bei einem Konzert in Rohrbach probiert, vor einem Publikum das nichts mit Wagner zu tun hatte. Das Ergebnis: Diese Arie begeistert genauso wie „Freunde das Leben ist lebenswert“ oder „Nessun Dorma„.
* Was hören Opernsänger so in ihrer Freizeit?
Ganz bunt gemischt! Ich liebe ja Jazz. Ich habe früher auch in vielen verschiedenen Bands gespielt, also E-Gitarre und Bass, und mag das sehr gerne. Generell mag ich Musik, die mich in eine „smoothe“ Stimmung versetzt und liebe alles, was gut gemachte Musik ist. Bei Michael Jackson zum Beispiel finde ich die Art und Weise, wie er an die Sache auch tänzerisch herangegangen ist, fantastisch. Kurz gesagt: Ich liebe es, wenn jemand mit Liebe dabei ist – und das hört man in der Musik, egal ob es richtige Volksmusik, Jazz oder Oper ist.
Wenn Herz dabei ist und das Hirn ausgeschaltet wird, das sind für mich die wichtigsten Parameter für schöne Musik.
* Anmerkung der Redaktion *
Ab und zu kommt der Schmäh auch in der Klassik-Branche durch. So wie zum Beispiel bei dem Konzert "Waltz of the World", live aus dem Wiener Konzerthaus: