Nurejews Hund – Volksoper Wien ** So geht kulturelle Bildung! 

Wie kann kulturelle Bildung funktionieren – und was bedeutet das eigentlich? “Nurejews Hund” an der Volksoper Wien zeigt, wie man bedeutende Ereignisse und Menschen in der Kulturgeschichte emotional, niederschwellig – und auch ein bisschen düster – auf die Bühne bringen kann.

Was würden uns Hunde erzählen, wenn sie sprechen könnten? Und was würde uns der Hund der Ballett-Legende Rudolf Nurejew erzählen? In Nurejews Hund – einem Familienstück basierend auf dem Buch von Elke Heidenreich – tauchen wir in die Gedankenwelt des Hundes Solor ein. Eine schöne, wenn auch dunkle Welt, geprägt von Tanz, Liebe und Vertrauen. Ein berührender Nachmittag  für “Erwachsene” – aber ebenso spannend, verständlich und emotional für die Kinder im Saal. 

Worum geht’s? 
1:30h ohne Pause, in deutscher Sprache mit deutsch/englischen Übertitel
Bei einer Party in New York wird ein Hund zurückgelassen und von der Ballett-Legende Rudolf Nurejew adoptiert. Solor, der von allen nur mehr “Nurejews Hund” genannt wird, begleitet seinen Menschen von Ballettproben bis zu Tourneen auf der ganzen Welt. Als Nurejew an Aids stirbt, vermacht er seinen Hund der Ballettdirektorin Marika. Marika kann anfangs gar nichts mit dem Hund anfangen, hat sogar Angst vor ihm – bis sie merkt, dass er ein paar Tricks von Nurejew selbst gelernt hat. 

Sebastian Wendelin, Florian Carove, Jakob Semotan (c) Apollonia Bitzan

So geht kulturelle Bildung: Ein Stück Ballettgeschichte für alle.

Nurejew” ist ein Name, den die meisten wahrscheinlich schon mal irgendwo gehört oder gelesen haben. Die große Frage ist doch: Wie erzählt man seine Biografie spannend für alle Altersgruppen? Und wie geht man mit seinem Tod an AIDS um, speziell wenn man ein Familienstück für Kinder aufführt? Elke Heidenreich hat mit ihrem Buch “Nurejews Hund – oder: Was Sehnsucht vermag” die Basis gelegt (ich muss es ehrlicherweise noch lesen). Nun hat Florian Hurler (Regie & Choreographie) an der Volksoper Wien ein Stück geschaffen, das die Geschichte von Rudolf Nurejew kinderfreundlich verpackt – ohne Tatsachen zu verzerren oder die Realität zu verharmlosen. 

“Auch das ist ein Unterschied zwischen Mensch und Hund: Bei einem Hund siehst du an seinen Ohren, ob er dir zuhört. Bei einem Menschen musst du abwarten.” – Solor, Nurejews Hund

Ich war sehr überrascht davon, wie intense es tatsächlich war. Denn ich habe noch nie ein Familienstück gesehen, in dem eine Person tatsächlich auf der Bühne “stirbt” (Achtung, Spoiler!). Wir schauen zu, wie Rudolf Nurejew im Endstadium seiner Krankheit mit Halluzinationen kämpft. Er erinnert sich an seine Kindheit in Russland, singt ein Wiegenlied seiner Mutter und sinkt schließlich am Boden zusammen. Großartige Performance von Sebastian Wendelin (Nurejew) – die nur durch die absolut herzzerreißende Reaktion von Florian Carove (Solor, Nurejews Hund) auf den Tod seines Menschen übertroffen wird. 

Meine absolute Lieblingsstelle war aber, als der Hund plötzlich zu tanzen begann. Ja, richtig gelesen. Florian Carove spielt nicht nur den perfekten Hund mit viel Sarkasmus und Witz. Nein, er ahmt auch die Bewegungen der Tänzer*Innen nach – und hat mich kurz vergessen lassen, dass sich da gerade kein wirklich tanzender Hund auf der Bühne bewegt. 

Florian Carove (c) Apollonia Bitzan

Die harte Realität: Intensive Ballett-Proben & wenig Platz

Ballett ist der Versuch des Menschen, die eigene Unsicherheit zu kaschieren. Wir können nicht fliegen, werden nie leicht wie eine Feder sein. Und doch versuchen so viele Tänzer*Innen, die Regeln der Schwerkraft aufzuheben. In “Nurejews Hund” wird die harte Realität der Ballett-Welt gezeigt: Anstrengende Proben, strenge Tanzlehrer*Innen, unerreichbar wirkende Träume.

“Habt ihr schon einmal 16 Schwäne gesehen, die wirklich synchron waren? Ich auch nicht.” – Solor, Nurejews Hund

Der Proben-Kontext verleiht der Handlung und den Tanzeinlagen eine angenehme Atmosphäre und Authentizität. Teilweise waren Tänzer*innen nicht synchron, hier und da haben Linien nicht gestimmt. Man ist sich nie sicher, ob das jetzt Absicht war, oder nicht… Immerhin ist es kein Schwanensee, sondern ein Familienstück.

Wer Ursula Pfitzner (Marika) als Ballettlehrerin auf der Bühne sieht, kann auch nur froh sein, dass sie diese Rolle nur spielt. Viel schöner war es allerdings dabei zuzusehen, wie sie sich mit viel Emotion und Liebe an diesen Hund annähert. Das Zusammenspiel zwischen ihr und Florian Carove hat mich komplett gepackt.

Ursula Pfitzner, Mila Schmidt, Maria Hegele, Wiener Staatsballett (c) Barbara Pálffy, Volksoper Wien

Ein Bühnenbild wie aus einem Bilderbuch

Meine Begleitung hat selbst Ballett getanzt und war vor allem begeistert, auf wie wenig Raum alle getanzt haben. In einer normalen Ballettstunde würde man in viel kleineren Gruppen tanzen, da man sich sonst auf die Füße steigt. In dieser Inszenierung schaffen es die Tänzer*Innen aber, mit überraschend wenig Platz, so gut koordiniert zu sein, sodass alles ohne Probleme funktioniert.

Generell verwandelt sich die ganze Bühne der Volksoper Wien in ein 3-dimensionales, illustriertes Märchenbuch. Christof Hetzer (Bühne & Kostüm) hat farbenfrohe Hintergründe geschaffen. Jeder Szenenwechsel sieht aus, als würden die Zuschauer*Innen umblättern – oder eher der Hund, der die Geschichte erzählt. Von einer Party in New York, die Wohnung von Rudolf Nurejew bis zum Ballettstudio oder der Wohnung von Marika. Es ist eine fantasievolle Umsetzung mehrerer Handlungsorte, die sich spielerisch zusammenfügen. 

Ensemble, Wiener Staatsballett (c) Apollonia Bitzan

Fazit: Viele Tränen, absolut kindgerecht & eine Empfehlung für alle Altersgruppen. 

Trotz der doch sehr ernsten Handlung und düsteren Themen wie AIDS, Tod, Sehnsucht oder Vertrauen, ist “Nurejews Hund” definitiv ein Stück für die ganze Familie. Während mir die Tränen runtergerollt sind, lockert die ungefilterte Ehrlichkeit der Kinder im Saal die Stimmung auf. Von “Wo ist er hin?” als Solor seinen Menschen vermisst, bis zu Gelächter und Jubel der Kleinsten im Saal war alles dabei. Es ist ein Stück, das sich mit den wichtigsten Fragen und Themen unseres Lebens beschäftigt: Wie gehen wir mit Verlust um – und wie finden wir Vertrauen zu Menschen, die uns völlig fremd sind? 

Eine absolute Empfehlung für alle, die mal etwas Anderes sehen wollen und mehr über die Ballett-Legende Rudolf Nurejew erfahren wollen. 

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