Toxische Pommes: Shame on you, Erbin!

„Wunschlos unglücklich“: Die Kabarettistin, Autorin und Social Media-Ikone Toxische Pommes bringt ein Sozialstück auf die Bühne, das eines der entlarvendsten Kabarettprogramme seit langem ist.

Wer in Österreich früher Kabarettist*in werden wollte, weil er/sie im Freundeskreis lustig gefunden wurde, wagte sich irgendwann vor ein Open Mic. Oder man packte sein gesamtes Repertoire an Pointen zusammen und versuchte sein Glück bei einem Nachwuchswettbewerb, in der Hoffnung, es irgendwann so richtig auf die Bühne zu schaffen, mit eigenem Programm und so. Oder man hatte bereits eine Schauspielkarriere und wechselte bloß das Fach, weil: Lustig sein kann doch eh jeder, und Kabarett ist wie Theater – nur ohne Co-Darsteller:innen und ohne Choreo, so der Glaube. Und hatte man es dann tatsächlich geschafft und eine Bühnenkarriere gestartet, kam irgendwann der Zeitpunkt, an dem man sich auch auf den Sozialen Medien vermarkten musste, ob man nun wollte oder nicht. Zumindest ein bisserl „Facebooken“ halt.

Erst Soziale Medien, dann Kabarettbühne

Dann kam Irina (Nachnahme unbekannt) alias Toxische Pommes, die den genau umgekehrten Weg gegangen ist. Sie hat nämlich zuerst neben ihrem ursprünglichen Beruf als Juristin in der Corona-Pandemie TikTok für sich entdeckt und dort ab Sommer 2020 ein satirisches Video nach dem anderen hochgeladen. Später kam Instagram dazu, wo sie es mittlerweile auf fast eine Viertelmillion Follower gebracht hat. In den Sozialen Medien wurde Toxische Pommes so erfolgreich, dass ganz einfach irgendwann der Zeitpunkt für die analoge Kabarettbühne kommen musste. 

So feierte 2022 ihre (angeblich in Sekunden ausverkaufte) szenische Lesung „Ketchup, Mayo & Ajvar“ im Kabarett Niedermair Premiere. Jetzt folgt – nach dem Österreichischen Kabarettpreis im Vorjahr – das zweite Programm „Wunschlos unglücklich“, ebenfalls im Niedermair, dessen heimeliges Ambiente wunderbar zu dieser jungen Künstlerin passt, die nach der Vorstellung, von feiernden Fans umringt, noch nicht ganz zu packen scheint, was sie hier geschafft hat.

Aber vielleicht ist auch das ein bisschen Koketterie. Denn Irina weiß sichtlich ganz genau, was sie tut. „Wunschlos unglücklich“ ist eines der zynischsten, boshaftesten und entlarvendsten Programme, die ich in jüngerer Zeit sehen durfte. Alles beginnt mit einer Erbschaft: Im „Windows 95“-T-Shirt hält sie, mit einem fiktiven Ameisenhaufen als einzigem Gegenüber, einen Monolog über eine 80-Quadratmeter-Innenstadtwohnung, noch dazu ein reines Anlageobjekt, die nun in ihrem Besitz ist. Damit ist die Mittzwanzigerin zum Parasiten im System geworden. Zu einer Angehörigen genau jener Oberschicht, gegen deren Privilegien sie jahrelang selbst demonstriert hat. „Ich kenne zehn Menschen in meinem Alter mit einer Depression“, stellt sie fest, „aber keinen mit einem eigenen Haus.“ 

Irina aka Toxische Pommes (c) Niedermair

Irina hält den Linken den Spiegel vor

Es geht aber um mehr als um die persönliche Befindlichkeit einer „Gen-Z-Gutmenschin“. Es geht um das Feeling einer ganzen Generation. Oder zumindest des politisch korrekten, linken, selbstreflektierten, aber selbstgerechten Teils davon, dem sie den Spiegel vorhält. Mit Biss und tiefschwarzem Humor und Worten, von denen jedes sorgfältig gewählt ist. 

Wie ein Damoklesschwert schwebt über ihrer neuen Existenz als Wohnungseigentümerin die quälende Frage: Kann man überhaupt noch eine moralisch überlegene Linke sein, wenn man selbst keine Wohnungsnot mehr hat? Und was wird der sorgfältig kuratierte queer-migrantisch-antifaschistische Freundeskreis sagen, wenn herauskommt, dass es keine günstig gefundene Mietwohnung ist, sondern böses, böses Eigentum? Andererseits: Muss man sich wirklich zwangsläufig von den eigenen Idealen verabschieden, nur weil man auf die Butterseite des Lebens gefallen ist? Nun, hier könnten vielleicht die Alt-Achtundsechziger und was aus ihnen geworden ist, als Lehrbeispiele dienen. 

Toxische Pommes beweist in ihrer Bühnenrolle als Erbin wider Willen, dass man sich auch dann noch Sorgen machen kann, wenn man die eigenen los ist. Zum Beispiel über Politik, Klimawandel, Femizide, Ausländerhass, Rechte von Transpersonen – und die Abschaffung der Bildungskarenz. Ja, das in denselben Topf zu werfen, ist sehr zynisch. Aber bei näherer Betrachtung verkörpert nichts die österreichische Seele so wie die Bildungskarenz, meint sie. Dieses materialisierte Jein, das unsere Gesellschaft zusammenhält, vom arbeitsunwilligen Pseudo-Studenten bis zur verzweifelten, die Kinderbetreuungszeit verlängernden Mutter. 

Samtene Erzählstimme und Stimmungsbrecher

Es ist ein entlarvender Abend, an dem Irina auch ihren eigenen sozialen Status zerlegt. Aber zugleich sind es sehr nachdenkliche eineinhalb Stunden, in denen sie ihre samtene Erzählstimme gekonnt einsetzt – und immer wieder die Stimmung bricht, bevor es einschläfernd wird. Denn es wäre schon verlockend, sich im Publikum sitzend von ihr einfach berieseln zu lassen. Aber diese mangelnde Mit(denk)arbeit wäre unverzeihlich. Also gut zuhören, sich selbst wiedererkennen und an der Nase nehmen!

Dann ist man live dabei, wenn sie Scheinheiligkeiten auseinandernimmt, von denen Sozialen Medien voll sind. Aber nicht nur dort, auch im analogen Leben. Vor allem in der linken Bobo-Schickeria. Denn: „Man kann über Rechte sagen, was man will, aber wenigstens sind sie ehrlich in dem, was sie tun.“ Und während ihre Bühnenfigur dann doch beginnt, sich mit ihrer neuen Rolle als Wohnungseigentümerin anzufreunden, wird es noch entlarvender. Weil sie plötzlich Gedanken spinnt, wie sie diesen neuen Wohnraum profitabel vermarkten könnte, und die Ideen dazu entstammen dem existenten freien Immobilienmarkt. Da ist es dann plötzlich doch nicht mehr so einfach mit dem Links-Sein und Sich-Sorgen-machen. Also was jetzt?

Naja, wie hat schon der Nadelstreif-Sozialist Fred Sinowatz in den 1980ern festgestellt (oder eigentlich nicht, weil der Satz eine Zuschreibung ist, aber er klingt so gut): „Es ist alles sehr kompliziert.“ Vor allem, wenn man als überzeugte Linke eine Innenstadtwohnung erbt, die in diesem Fall als Dreh- und Angelpunkt für ein ganzes Sozialstück dient. 

WER IST TOXISCHE POMMES?
Irina (Nachname unbekannt) wurde um 1990 im ehemaligen Jugoslawien in eine serbisch-montenegrinische Familie geboren, die eineinhalb Jahre später vor dem Krieg nach Österreich flüchtete. Hier wuchs Irina auf und studierte Jus. Im Sommer 2020 begann sie in ihrer Freizeit satirische Videos auf TikTok hochzuladen, wobei sie den Künstlernamen Toxische Pommes benutzte – in Anspielung auf eines ihrer Lieblings-Essen und eine überwundene toxische Beziehung. Der Rest ist Kabarettgeschichte. Zwischen ihren beiden Bühnenprogrammen hat sie 2024 auch ihren autofiktionalen Roman „Ein schönes Ausländerkind“ über Migration, familiäre Beziehungen und Integration veröffentlicht. Im selben Jahr wurde sie beim Österreichischen Kabarettpreis als beliebteste digitale Content-Creatorin ausgezeichnet.

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