„Fun“ von Bela B Felsenheimer: Was für kein Spaß

Der Sänger und Schlagzeuger von Die Ärzte öffnet in seinem zweiten Roman die Tür zum Backstage-Raum einer Rockband und zeigt, wohin Misogynie und Machtgeilheit führen können. Spaß macht das Lesen allerdings nicht, denn die Grenzen zwischen Fiktion und Realität sind fließend.

Spaß – was ist das eigentlich? Und ist es für jede*n das gleiche? Die alternden Mitglieder der legendären Rockband „Nabel Nabel“ (Kurzform: nbl/nbl) haben ihr ganz eigenes Verständnis davon: Saufen auf der Backstage-Party, ab und zu Frauen vergewaltigen und Beweismaterial vernichten, wenn es brenzlig wird.

Im Roman „Fun“ von Bela B Felsenheimer – Schlagzeuger und Sänger der deutschen Punkrockband Die Ärzte – stehen die (fiktiven) Bandmitglieder Maler Meister, Krass, Fox, Petar und Hüsker samt Security-Staff und Managerin Miriam im Rampenlicht. Während ihrer Tour kommen sie auch in die Region, in der Liane mit Mann Guido und Tochter Maila wohnt.

Casting für den Backstage-Pass

Dass ihre Mutter irgendeine Vorgeschichte mit der Band hat – speziell mit dem Sänger Maler – weiß Maila nicht. Sie hat keine Ahnung davon, was auf den berühmt-berüchtigten Aftershow-Partys geschieht oder dass es im Backstage-Bereich unter anderem so zu geht:

„Die Hand des Schlagzeugers liegt auf ihrem Knie. Sie kann die Schwielen daran fühlen. Seine Finger streichen über ihre Kniescheibe, ohne von der Unterhaltung abzulassen.“

Dass Frauen für den begehrten Backstage-Pass extra gecastet und nach Lippenform, Busengröße und Rockkürze ausgewählt werden, Drogen oder Pillen zum „Locker machen“ verabreicht werden und ein „Nein“ im entscheidenden Moment vielleicht überhört wird, ist ihr ebenso wenig klar. Was Ljilja genau dort zugestoßen ist, erfahren nur die Leser*innen durch den regelmäßigen Wechsel der Perspektiven im Buch.

Maila und Freundin Oksana wollen ihren Idolen einfach nur ganz nah sein. Und womöglich geschieht ja auch mehr, wer weiß.

„Nabel Nabel“ oder „Rammstein“?

Für Sex rekrutiert? Da klingelt doch was. Ja, „Fun“ hat auffällige Parallelen zu den Missbrauchsvorwürfen gegen die Band Rammstein – und insbesondere Sänger Till Lindemann. Namentlich genannt wird Rammstein nicht, das ist aber auch nicht nötig.

Eines sei an dieser Stelle auf jeden Fall gesagt: Es ist keine leichte Kost, manchmal wurde mir beim Lesen sogar richtig schlecht. Das liegt nicht daran, dass sich auch die Romanfiguren gefühlt 500-mal übergeben mussten, sondern am Umgang mit den Frauen. Lustig ist Felsenheimers Roman über die misogyne Musikbranche überhaupt nicht. Dafür ist er viel zu realistisch.

Befeuert den Hass gegen das Patriarchat

Das Buch hat mich oft rasend gemacht. Zum einen natürlich die Bandmitglieder, die manchmal wie tollpatschige, unbeholfene Kinder beschrieben werden, die ungewollt in brenzlige Situationen geraten. Auch, wenn manche von ihnen zur Selbstreflexion fähig sind und ihre Taten kritisch hinterfragen, kommt die Einsicht oft zu spät und entschuldigt nicht ihre Taten. Es ist erschreckend, wie fragil ihre Männlichkeit plötzlich ist, sobald das Lebensmodell und Gesellschaftssystem, in dem sie immer gelebt haben, plötzlich ins Wanken geraten. Im Alltag fallen die Männer schnell wieder in ihre gewohnten Muster zurück und rechtfertigen sich:

„Dass wir erfolgreich sind, schmeckt vielen nicht. Überall nur Neid und Missgunst. Dabei sind wir der Spiegel, der ihnen ihre nutzlose Existenz aufzeigt. Und die Frauen, by the way, haben doch schon immer die Piraten geliebt, die Gesetzlosen.“

Sie müssen sich nicht ändern, um angebetet und verehrt zu werden. Nabel Nabel hat einen so hohen Status erreicht, der nahezu alles entschuldigt.

„Good Guy“ Guido? We choose the bear.

Das größte Arschloch im gesamten Roman für mich ist Apotheker Guido, Lianes Ehemann. Er ist kein Star, sondern nur ein unauffälliger Familienvater und verständnisvoller Ehemann. Der durchschnittliche „Good Guy“, wenn man so will. Aber hinter der Fassade ist er versaut, durchtrieben und ohne jegliches Schuldbewusstsein. Während Liane mit ihren Freund*innen einen kleinen Urlaub macht, will auch er seinen Spaß haben. 

In seinem Verständnis besteht Fun darin, seine Frau zu betrügen – er plant die Affäre richtig. Nur seine Angebetete – die junge Auszubildende Irissa – weiß nichts davon. Guido hält es auch nicht für notwendig, sie um ihre Meinung zu bitten. Wie die Bandmitglieder von Nabel Nabel hält er Consent eher für unsexy. Bei einem gemeinsamen Dinner will er sie rumkriegen. Als es ihm auch mit viel Alkohol nicht gelingt, ist sie für ihn plötzlich nicht mehr als eine Schlampe.

Das Gruselige ist: Männer wie Guido gibt es wirklich. Er könnte einem an jeder Straßenecke begegnen und genau das macht ihn so gefährlich. Eine misogyne Denkweise kann einfach in jedem Mann stecken. Auch der Fall Gisèle Pelicot hat bewiesen, dass es keine übernatürlichen Monster sind, die einer Frau Betäubungsmittel untermischen und sie dann im großen Stil missbrauchen. Es sind Bäcker, Friseure oder Polizisten – ganz normale Männer, die zu bestialischen Taten fähig sind. Vor diesem Hintergrund erscheint es wirklich total nachvollziehbar, den Bären zu wählen.

Don’t judge a book by its cover

Eine so vielschichtige und erschreckende Geschichte hätte ich einem Buch, das so langweilig gestaltet ist, gar nicht zugetraut. Der schwarze Einband mit dem Titel in 3D-Prägung hat für mich mehr etwas von Supermarkt-Lektüre, aber wie heißt es so schön: Don’t judge a book by its cover. Dann würde man nämlich wirklich etwas verpassen.

Manche Szenen wirken allerdings sehr konstruiert und ausgedacht – das würde im echten Leben so wohl nicht vonstattengehen. Hoffe ich zumindest. Zum Beispiel, als Guido der Auszubildenden Irissa in einer unbemerkten Sekunde schamlos auf den Hintern starrt und einem dahergelaufenen Kind in der Apotheke erzählt (eigentlich ist es der Sohn einer Angestellten, aber das wusste er nicht): „Siehst du diesen knallrunden Po an der Frau? Ganz fest ist der. Wenn du älter bist, wirst du ganz verrückt nach so was sein.“

Was mich beim Lesen ab und zu abgeschreckt hat, sind auch die Dialoge – vor allem zwischen Maila und Oksana. Während des Konzerts von Nabel Nabel ruft Oksana beispielsweise: „Die sind so gottlos nice, girl, booah, das ist nur noch geisteskrank.“

Es ist so wie immer, wenn eine ältere Generation versucht, den „Slang“ einer jüngeren Generation zu imitieren: Es wird ein bisschen peinlich. Da hätte etwas Zurückhaltung bei Anglizismen nicht geschadet – man hätte das Manuskript aber auch der Zielgruppe zum Lektorieren in die Hand drücken können. Irgendwann habe ich mich daran gewöhnt und konnte über manche Formulierungen lachen.

Achtung, Spoiler: Realistisches Ende und viel Stoff für Diskussionen

Ein großer Gesellschaftsroman“ wird auf dem Buchrücken versprochen und den bekommt man auch. Gegen Ende wird’s richtig spannend und ich habe komplett mitgefiebert, ob die Schuldigen endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Aber für die meisten geht es doch recht glimpflich aus. Nabel Nabel hat zwar einen auf den Deckel bekommen und ein paar unangenehme Momente hinter sich, aber machen weiter wie bisher. Sie können sich auf ihrem Status und ihren Lorbeeren ausruhen, müssen ihre Handlungen nicht mehr hinterfragen oder über die möglichen Konsequenzen nachdenken. Irgendjemand wird die Drecksarbeit erledigen, irgendwer wird sie immer anbeten. Und wenn nicht: Es gibt doch nichts, was ein paar Gästeliste-Plätze für die richtigen Leute nicht wieder reinwaschen könnten. Somit ändert sich auch nicht das Mindset. Die Tourmanagerin bleibt weiterhin der „Hase“ oder das „Liebchen“. Das Vergewaltigungsopfer ist bloß die nervige „Groupie-Tussi“. Mächtige Männer sind nach wie vor mächtige Männer.

Damit ist das Ende von „Fun“ leider allzu nah an der Wirklichkeit. Gecancelt wird Nabel Nabel ebenso wenig wie Rammstein. Letztere haben wenigstens an Fans eingebüßt. Manche verbrannten sogar feierlich Tickets für bevorstehende Konzerte und setzten damit ein Zeichen. Protestbewegungen und Demonstrationen werden größer und häufiger. Aber insgesamt können sich Rammstein noch immer über eine große Anhängerschaft freuen und gingen 2024 auf Europatour. Till Lindemann kommt sogar im November für einen Solo-Auftritt nach Wien. Der Titel seiner Tour: „Meine Welt“. Klingt nicht unbedingt nach Einsicht oder Selbstreflexion.

Die Mehrheit scheint sich nicht daran zu stoßen, was die weiblichen Fans aus der Row Zero berichteten. Frauen, die sich mit ihren Anschuldigungen an die Öffentlichkeit trauten, wurden diffamiert, als Lügnerinnen dargestellt oder zu Schuldigen gemacht – klassische Täter-Opfer-Umkehr. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Jahr 2023 flammte zudem die Diskussion um die Trennung von Kunst und Künstler*in auf – die meiner Meinung nach auf jeden Fall dann ein Ende finden muss, sobald Künstler*innen in Missbrauch verwickelt ist.

Privileg richtig genutzt

Bela B Felsenheimer nutzt mit „Fun“ sein Privileg als berühmter Musiker und seine Reichweite, um die Stimme jener Frauen zu verstärken und legt einen prominenten Finger in die Wunde. Damit schafft er es vielleicht, dem Thema langfristig nochmal den nötigen Auftrieb zu geben und auch die Menschen zum Nach- und Umdenken anzuregen, die sich bislang nicht oder zu wenig damit beschäftigt haben. Jene Menschen, die womöglich erst jetzt mit der Nase darauf gestoßen wurden, weil ihr Lieblingskünstler Bela B so vehement darauf aufmerksam macht, neue Perspektiven beleuchtet und ihnen klipp und klar sagt: Das ist ein Problem! Auch, wenn es sehr traurig ist, dass es dafür einen männlichen Star braucht und die Berichte der betroffenen Frauen nicht ausreichen.

Mit seinem neuen Roman öffnet Bela B die Türen zum Backstage Bereich und zeigt uns gleichzeitig ein Bild der gegenwärtigen Gesellschaft, das ebenso Asche sein sollte wie Rammstein-Tickets.

Wer ist Bela B Felsenheimer?
Bela B Felsenheimer, mit bürgerlichem Namen Dirk Felsenheimer, wurde am 14. Dezember 1962 in West-Berlin geboren. Er ist ein deutscher Musiker, Schauspieler, Hörbuchsprecher und Autor. Bekannt wurde er vor allem als Schlagzeuger und Sänger der Punkrock-Band Die Ärzte, die zu den einflussreichsten deutschen Rockbands zählt.

Bela B gründete 1982 zusammen mit Farin Urlaub (bürgerlich Jan Vetter) und zunächst Sahnie (Hans Runge) die Band Die Ärzte. Die Gruppe wurde schnell für ihre ironischen, teils provokanten Texte und ihren melodischen Punkrock-Stil bekannt. Nach einer zwischenzeitlichen Auflösung 1988 fand die Band 1993 wieder zusammen, diesmal mit Rodrigo González als Bassisten. Bela B ist neben Farin Urlaub die markanteste Stimme der Band und singt regelmäßig selbstgeschriebene Songs.

Abseits von Die Ärzte ist Bela B auch als Solokünstler aktiv. 2006 veröffentlichte er sein erstes Soloalbum Bingo, das auf Platz 2 der deutschen Albumcharts landete. Er wirkt zudem als Schauspieler in Film und Fernsehen mit und engagiert sich auch politisch, unter anderem gegen Rechtsextremismus.

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