Im Portrait: Klimakultur Tirol ** Die Welt von morgen – fehlt uns die Vorstellungskraft?

Klima ist diffus und mehrdeutig, Kunst ideenreich und Kultur der Raum, in dem beides Platz hat. Im kultur*knistern-Interview sprechen die Koordinatorinnen von Klimakultur Tirol Barbara Alt und Lisa Prazeller über die Errungenschaften ihrer Arbeit, Kunst, die sie zum Weinen gebracht hat und warum es sich lohnt, weiterzumachen. 

Die Klimakultur Tirol: Ein Platz zum Zusammenkommen und Diskutieren.

** Welches eurer Formate kommt besonders gut an und woran glaubt ihr, liegt das?

Lisa: Ich freue mich, dass viele Kultureinrichtungen Lust haben, bei den  Tagen der Klimakultur mitzumachen. Bei anderen Akteur:innen ist das viel schwieriger. Gemeinden sind z.B. oft sehr überlastet und haben keine Ressourcen. Dieses Jahr haben wir ca. 40 Kulturevents im Oktober in allen Bezirken Tirols. Dass es da so großen Zuspruch gibt, ist mein Highlight. 

Die Klimakultur Tirol wurde 2018 gegründet und verbindet Kunst, Kulturarbeit und Klimaschutz. Sie veranstaltet Netzwerktreffen zum Austausch & Mitmachen und ist gleichzeitig eine Online-Informationsplattform: Auf der Website werden Best Practice Beispiele, Grundlagen, Tipps und Förderstellen gesammelt, der Newsletter berichtet über neueste Veranstaltungen. Gerade findet der alljährliche Aktionsmonat „Tage der Klimakultur“ statt, bei dem Kunst zum Thema Klima & Natur aus ganz Tirol sichtbar gemacht wird. Seit 2022 wird die Initiative vom Land Tirol aus den Töpfen der Nachhaltigkeits- und Kulturabteilung gefördert und ist damit von der Kooperation her einzigartig in Österreich. 

Die Treffpunkte funktionieren zum Beispiel gut. Letztens war in Kitzbühel die slowenische Autorin Nataša Kramberger eingeladen. Sie las aus ihrem Roman Mauerpfeffer, der sich mit nachhaltiger Landwirtschaft beschäftigt. Auf dem Podium saßen noch drei Bäuerinnen aus der Region, die eher konventionelle Landwirtschaft betreiben. Das Publikum war dadurch auch ein ganz anderes, als wir es normalerweise haben. Für mich war das ein total spannender und inspirierender Abend mit einem ganz neuen Blick auf die Klimakultur.

** Wurde es bei den Diskussionen laut?

Lisa: Das haben wir ursprünglich befürchtet. Doch letztendlich sind die Gemeinsamkeiten in ihren unterschiedlichen Landwirtschaften in den Vordergrund gerückt. 

“Letztendlich geht’s ja um ein gutes Zusammenleben – auch mit nicht menschlichen Lebewesen.” – Lisa Prazeller, Koordinatorin der Klimakultur Tirol

Neue Perspektiven auf die Zukunft durch Klimakultur?

Barbara: Für mich war ein Aha-Erlebnis der zweite Treffpunkt, wo wir über die Vorstellungskraft gesprochen haben. Sie ist die eigentliche Hemmschwelle. Die Lösungen, um die Folgen der Klimakrise zu mildern, sind schon da. Viele haben aber die Sorge, dass man auf Dinge verzichten und seine persönliche Freiheit einschränken muss. Wir können uns dabei oft nicht vorstellen, dass wir viel dazu gewinnen könnten, wenn wir neue Modelle ausprobieren und wieder mehr auf das Miteinander setzen. 

Lisa: Meine Vorstellungskraft ist im städtischen Kontext viel einfacher anzukurbeln – auch weil ich in der Stadt lebe. Autofreie Innenstädte, mehr Grün, mehr Menschen auf den Straßen zu Fuß mit dem Rad oder Lastenrädern. Ich glaube, dass Lastenräder in der Stadt eine ganz krasse Erfolgsstory hinlegen werden. 

** Welche Themen sind bei Klimakultur Tirol sehr präsent?

Barbara: Seit 2024 gibt es Jahresthemen. Letztes Jahr lautete es Verflechtungen. Wir haben das auf mehreren Ebenen betrachtet, z. B. im biologischen und menschlichen Sinne. Also zu Flechten und Verbindungen zwischen Mensch, Natur und mehr-als-menschlichen Lebewesen. Dann aber auch im handwerklichen Sinne zur bspw. Leinenherstellung im Tiroler Örtchen Patsch. Heuer heißt unser Jahresthema Bleibe-Freiheit. Da kommen Fragen auf wie: Was darf bleiben? Wo ist die Freiheit bedroht? Was müssen wir selbst vielleicht auch bleiben lassen? 

“Wenn die Zeit für Projektanträge gebraucht wird, anstatt wirklich ins Tun zu kommen, ist das schade.” – Lisa Prazeller, Koordinatorin der Klimakultur Tirol

So sind wir auf Schwerpunktthemen wie Landwirtschaft, Boden und Biodiversität gekommen. Der Fokus unseres nächsten Treffpunktes dieses Jahr wird auf Botanik liegen. Da schauen wir uns an, was das Bleiberecht von Pflanzen bedeutet. Wie unser Verhältnis zu Pflanzen ist, ob daheim die Topfpflanze, Schnittblumen oder aussterbende Wildpflanzen in Tirol. 

Klimaschutzlandesrat René Zumtobel, Barbara Alt (TKI), Lisa Prazeller (Klimabündnis Tirol), Kulturreferent LH Anton Mattle
Klimaschutzlandesrat René Zumtobel, Barbara Alt (TKI), Lisa Prazeller (Klimabündnis Tirol), Kulturreferent LH Anton Mattle (c) Dino Bossnini db

** Welchen Themen sollte im Kulturbetrieb mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden?

Lisa: Vor ein paar Jahren hätte ich gesagt auf Klima. Da gab es kaum künstlerische Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsthemen. Mittlerweile ist das Thema in der Mitte des Kulturbetriebs angekommen. Klar, wir haben die Klimakultur-Brille auf – ich bin mir aber sicher, dass es da eine schnelle Entwicklung gab. 

Barabara: Mir fällt das Thema Community ein. Als Community können wir sehr viel bewegen. Das sollten wir nicht aus den Augen verlieren.

Welche Kunst zu Klima-Themen sollte man sich unbedingt anschauen?

Barbara: Das Theaterstück “und alle tiere rufen: dieser titel rettet die welt auch nicht mehr” von Thomas Köck, welches letztes Jahr im Brux aufgeführt wurde. Es ging um das Thema Artensterben und es hat mich sehr berührt. Ich habe das ganze Stück lang durchgeheult. Es macht einfach einen großen Unterschied, ob ich das in der Zeitung lese, die Zahlen und Fakten kenne oder ob eine Performance hingelegt wird, die einem in Erinnerung bleibt. Das war für mich ein Gänsehautmoment. 

Lisa: Im Aut. ist aktuell eine sehr empfehlenswerte Ausstellung über Wintertourismus in Tirol zu sehen. Die hat mich total abgeholt und berührt, weil sie stark mit Zukunftsszenarien arbeitet. Mich überzeugen aber auch die Klimabücher von T. C. Boyle, welche die Auswirkungen der Klimakrise in den USA anschaulich aufzeigen. Oder das Konzept des Forumtheaters vom Theaterpädagogen Armin Staffler. Hier kommt eine Gruppe von Laienschauspieler:innen zusammen und erarbeitet gemeinsam ein Stück, bei dem sich das Publikum bei der Vorstellung einmischen kann. Durch die verschiedenen Rollen wie Bürgermeister, Landwirt oder Umweltaktivistin bekommt man mehr Verständnis für andere Positionen. Ich glaube, das braucht’s in der Klimadebatte, weil die Fronten oft so verhärtet sind. 

Die Arbeit hinter den Kulissen: Was braucht es, damit die Klimakultur Tirol funktioniert?

Barbara: Für mich und Lisa ist es viel Öffentlichkeits- und Pressearbeit. Wir betreuen den Blog, erstellen den Newsletter und sind auf Social Media. Das andere ist Netzwerkarbeit: Korrespondenz, Anfragen beantworten, unsere Treffpunkte organisieren. Natürlich auch der Austausch mit Vereinen und Institutionen und die Planung der “Tage der Klimakultur”. 

Lisa: Im Veranstaltungsmanagement braucht es vernetztes Denken. Man redet ganz viel mit Menschen und macht Externe darauf aufmerksam, was wir tun. Die ständige Abwechslung ist cool. 

40 Kulturevents in Tirol feiern die Tage der Klimakultur
40 Kulturevents in Tirol feiern die Tage der Klimakultur (c) Dino Bossnini db

** Was erleichtert und was erschwert eure Arbeit derzeit?

Lisa: Das Fürchten um die Finanzierung erschwert die Arbeit. Wenn die Zeit für Projektanträge gebraucht wird, anstatt wirklich ins Tun zu kommen, ist das schade. Überzeugt bin ich von der geteilten Koordinationsstelle von Barbara und mir. Sie verbindet zwei Organisationen, die Klima und Kultur abdecken: Das Klimabündnis Tirol und die TKI – Tiroler Kulturinitiativen. Die gemeinsame Arbeit erleichtert einfach die Planung von Projekten. Parallel unterstützt unser vier-köpfiger Beirat bei inhaltlichen und strategischen Fragen – und bei allem, was sonst noch auffällt.

“Was mich motiviert, ist, dass es keine Alternative gibt. Aufgeben ist keine Option.” – Barbara Alt, Koordinatorinder Klimakultur Tirol

Zwischen Ehrenamt und Vollzeitarbeit für den guten Zweck.

Lisa: Eine Herausforderung ist das Zusammenspiel von ehrenamtlicher Tätigkeit und hauptamtlicher Tätigkeit. Lisa und ich haben durch die Förderungen bezahlte Stellen. Unser kuratorischer Beirat arbeitet aber weitgehend ehrenamtlich. Früher gab es eine gänzlich ehrenamtliche Arbeitsgruppe, die aber immer kleiner geworden ist. Das liegt vielleicht auch an so einem Gefühl von “Das ist jetzt aufgeräumt, da kümmert sich jetzt jemand drum”. Die Herausforderung ist dann, das so zu gestalten, dass alle trotzdem happy sind.

Barbara: Ein gutes Netzwerk ist total wichtig. Wir haben viele Kontakte zu Gemeinden, Bildungseinrichtungen und Betrieben, aber auch engen Kontakt zu Kulturarbeiter*innen und -vereinen. Es braucht vor allem organisatorische Skills und eine ähnliche Grundhaltung.

** Was ist euer Traum für in 25 Jahren?

Lisa: Wenn man im Klimaschutz arbeitet, will man sich ja immer selber abschaffen. Das Ziel ist, nicht mehr gebraucht zu werden. Ich hoffe einfach, dass Kunst und Kultur die Gesellschaft auf positive Art mitgestalten. Letztendlich geht’s ja um ein gutes Zusammenleben – auch mit nicht menschlichen Lebewesen.

Barbara: Mein Wunsch wäre, dass unsere Arbeit von politischer Seite wertgeschätzt und weiter finanziell gefördert wird.

** Was motiviert euch trotz besorgniserregender Weltlage weiterzumachen? 

Lisa: Ich bin jetzt seit fast 10 Jahren im Klimaschutz tätig und habe in der Zeit eine große Zunahme von Maßnahmen, Förderungen und motivierten Menschen mitbekommen. Fridays for Future hat Schwung hinein gebracht, der ist nicht mehr rückgängig zu machen. Das ist eine Wellenbewegung, die stetig nach oben geht. Die Klimabewegung ist wie die CO2-Kurve mal mehr, mal weniger, aber sie geht immer nach oben. Ich weigere mich zu denken, dass das jetzt alles für die Fisch war. Rückschläge gibt es aber trotzdem immer.

Barbara: Was mich motiviert, ist, dass es keine Alternative gibt. Aufgeben ist keine Option. Die Hoffnung ist der Motor, der uns antreibt.

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