Mit „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“ erzählt Anna Maschik auf gerade einmal 232 Seiten einen Familienepos, der sich von der Urgroßmutter Henrike im Norden Deutschlands bis hin zur Urenkelin Alma in Österreich rankt.
WAS MIR DIE GROSSMUTTER ÜBER DEN KRIEG ERZÄHLT:
Dass sie auf der Brücke steht, als die Flieger kommen
Dass sie den Großvater kennenlernt
Dass die Urgroßmutter heimlich schlachtet
WAS MIR DIE GROSSMUTTER NICHT ÜBER DEN KRIEG ERZÄHLT:
Alles
Neben Krieg und Tod stapeln sich dabei so mancherlei Tragödien, die aber wie die gesamte Romanhandlung in nur äußerst reduzierten und verdichteten Szenen angedeutet werden. Listen verknüpfen sich mit Erinnerungsfragmenten und märchenhaft erzählten Szenen zu einer kunstvoll ausgestalten Textcollage, die überraschend viel von vier Generationen einer Familie preisgibt.
Von schlachtenden Frauen
Die Handlung, falls man von so einer sprechen möchte, folgt dabei vor allem den Frauen dieser Familie. Henrike, die während des Krieges heimlich Schafe schlachtet und so für das Fortbestehen der Familie sorgt. Hilde, die sich während des Krieges verliebt und deshalb das Meer für die Berge eintauscht. Miriam, die zum Studieren in die Stadt zieht, und schließlich Alma, die nicht nur den Endpunkt sich stets wiederholender Familiendynamiken darstellt, sondern auch als Erzählfigur fungiert.
Frau und Mutter sein wird dabei von Anna Maschik mit herrlichem Fingerspitzengefühl erzählt, weder ist es Berufung noch Verdammnis. Zwar bleiben sämtliche Figuren in einer gewissen Schablonenhaftigkeit erstarrt – Henrike, die Bäuerin, ihr Sohn Benedikt, der seine Kindheit und Jugend verschläft, Miriams Bruder Wolfgang, der einem bösen Märchenwolf ähnelt. Zugleich kann die reduzierte Erzählweise nur so überhaupt ihre Tragkraft entfalten.

Magische und tragische Familiengeschichte
In die für die deutsche Literatur mittlerweile beinahe altbekannten Erzählstränge einer Familiengeschichte zwischen Weltkrieg, Liebe und Entwurzelung, flechten sich zudem subtil Elemente eines magischen Realismus ein.
Vor dem Haus der Totenfrau wuchern Zitronenbäume. Die Trauer lässt das Gemüse milchig weiß werden und der ewig schlafende Bruder erwacht irgendwann doch. Damit zeichnet Maschik Bilder, die selbst diesen ausgetretenen Gemeinpfad deutscher Gegenwartsliteratur herrlich erfrischen.
Knister*Wissen: Die Aufgabe der Totenfrau war es, den Verstorbenen zu waschen und anzukleiden. Sie wurde von den engsten Angehörigen des Trauerhauses bestellt. Meist war sie eine auf diese Aufgabe spezialisierte Frau aus dem Dorf oder Stadtviertel oder auch eine Nachbarin.
Alles richtig gemacht – eigentlich
Eigentlich also macht Anna Maschik mit „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“ alles richtig. Mittels collage-artigem Erzählstil, magisch anmutenden Figuren und Geschehnissen sowie einem Fokus auf die Protagonistinnen zeigt sie, wie moderner Familienepos heute funktionieren kann.
Und trotzdem bleibt am Ende das schale Gefühl, dass der Text nicht ganz aufgeht. Die Textfragmente wirken beinahe zu überkonstruiert, die Erzählung lebt vor allem von den Figuren. Unter der Textoberfläche, so scheint es, verbirgt sich nichts Tiefgreifendes. Es ist alles erwartbar geordnet und somit bleibt am Ende das Gefühl, dass irgendetwas fehlt.
Trotzdem ist der Roman zu empfehlen. Schon wie es der Titel bereits erahnen lässt, weiß Maschik mit Sprache zu arbeiten. Ihre reduzierte Erzählweise und gekonnt konstruierte Figuren machen beim Lesen einfach Spaß. Dass der Text das Gefühl einer Lücke vermittelt, bleibt daher ein verschmerzbares Risiko.
Anna Maschik, “Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten”. € 24,50- / 235 Seiten. Luchterhand, München 2025


