ERDgespräche 2025 ** Können wir als Superheld*innen die Welt retten?

Blogheader Erdgespräche (c) Michele Agostinis

Die ERDgespräche versprechen Hoffnung und Inspiration. Dieses Jahr steht die Kraft der Zivilgesellschaft im Zentrum – sie zu entfesseln, bleibt eine Herkulesaufgabe.

Die ERDgespräche sind eine Informations- und Vernetzungsinitiative, bei der seit 2008 jährlich Menschen zusammenkommen, die unsere Welt verändern. Nationale und internationale Vordenker*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen werden eingeladen, ihre inspirierenden Projekte und Ideen zu Klimaschutz, zukunftsfähigen Lebensstilen und Gerechtigkeit auf die Bühne zu bringen. Unter dem diesjährigen Motto “We are many” ist die Message: Jeder Mensch kann etwas bewegen und gemeinsam sind wir stark.

Erdgespräche rund um den Globus. (c) Michele Agostinis

Um gewaltfrei eine Veränderung auszulösen, braucht es zwischen 3,5 – 4% der Bevölkerung, die sich aktiv dafür einsetzen. ”Das ist nicht viel.”, bemerkte Bundespräsident Alexander Van de Bellen bei der Eröffnung der ERDgespräche. Warum ist es dann gerade jetzt so verdammt schwer? 

Die Welt scheint in Schockstarre. Selbst auf Hoffnung setzende Events wie die Erdgespräche hatten es heuer schwer, den Saal zu füllen. Die Gründerin der ERDgespräche Angie Rattay spricht von einer “Ohnmacht des Volkes”, die vielen Krisen und Kriege in der Welt würden die Menschen entmutigen. Können die ERDgespräche ein Zeichen des Widerstands setzen?

Die Menschen sind die Zukunft

Von den anfänglich geringen Anmeldezahlen ist wenig zu spüren. Die Halle E im Museumsquartier ist fast voll. Auf der Bühne dreht sich in Endlosschleife ein großer Globus, der die Erde bei Nacht zeigt. Auf den Landflächen leuchten die Lichter. Nach einleitenden Worten Van der Bellens zieht über diesen Globus weltumspannend der Name der ersten Speakerin: Juristin und Greenpeace-Sprecherin Baro Vincenta Ra Gabbert. 

Let`s reclaim the future”, fordert sie und spricht darüber, wie wichtig Partizipation ist. Die Orte, an denen das gelingt, sind nach Gabbert Demonstrationen. Oder das Klagen vor Gericht, z.B. in Form der Zukunftsklage, die sie zuletzt mit 54.584 Mitkläger*innen beim deutschen Bundesverfassungsgericht einreichte. Da  “wir die Zukunft sind”, dürfen wir nicht aufgeben. Das sind schöne Worte, doch kommen sie bei ihrer aufgesetzten, andächtigen Vortragsweise an?

Greenpeace-Sprecherin Baro Vincenta Ra Gabbert (c) David Dunst

Von der Konkurrenz zur Kooperation

Die zweite Speakerin ist die Schauspielerin Valerie Huber. Sie spricht primär zur Generation Z. Einer Generation, der es richtig gut gehen sollte, da sie so gesund, so gebildet, sicher, frei und privilegiert ist wie nie zuvor. Wären da nicht die Krisen, Kriege, KI, Superreiche und der Klimawandel. Wir stecken, so ihre These, in einer menschlichen Krise. Wir haben “digitale Fomos”. Sind ängstlich, entfremdet von der Natur, den Mitmenschen, uns selbst. Wir haben es verlernt, Mensch zu sein. Als Ausgang nennt sie die Kooperation und ist der Meinung: Die Zukunft liegt zwischen uns. 

Zur Veranschaulichung des gegenwärtigen Weltzustandes zeigt sie ein KI-generiertes “Monopoly”-Bild. Darauf sind weiße reiche Männer zu sehen, die auf den Schultern vieler “gekrümmt-zahmer” Arbeiter Monopoly spielen und über unsere Zukunft entscheiden. Sie fragt in die Menge: “Was passiert, wenn sich diese Menschen alle gleichzeitig erheben?” Und beantwortet sie selbst. Das Monopoly-Brett würde kippen. Die unterdrückten Menschen würden erkennen, wie groß ihre Macht ist.

Schauspielerin Valerie Huber (c) Moritz Nachtschatt

Dass Huber ein KI generiertes Bild wählt, um Klassenkampf und Ungerechtigkeit zu veranschaulichen und zur Emanzipation aufzurufen, ist befremdlich. Nicht nur, weil es von Algorithmen geschaffen wurde, die auf den Vorlieben tech-affiner Männern aus Nordamerika basieren. Sondern auch, weil das Bild Klischees verstärkt, die Welt vereinfacht und Affekte beherrscht. Aus diesen Gründen erfreut sich die Verwendung KI generierter Bilder vor allem von politischen Rechten großer Beliebtheit. 

Dabei hat Van der Bellen in der Eröffnung vor dem Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien anhand dem Beispiel China gewarnt. China wird Weltmarktführer für grüne Technologie, ist gerade aber noch der weltweit größte CO2-Emittent. Die Realität ist meist komplexer als die reißerische Story vom Sieg der Guten über die Bösen.

Zwischen Klima-, Menschen- und Naturschutz

Gleich mehrere Speaker*innen meinen, es sollte eher Menschen-Schutz statt Klima-Schutz heißen. Sie finden, dass primär die Menschen und nicht das Klima vor den Klimaveränderungen zu schützen sind. Ist das in Anbetracht der Biodiversitätskrise nicht zu oberflächlich gedacht? Schließlich kann der Mensch sich nur retten, wenn er eine neue Wertschätzung zu allen Lebewesen ausbildet. Mit der ausschließlichen Liebe und Zuneigung zur eigenen Spezies bleibt der Erfolg im Umgang mit der Klimakrise zu bezweifeln.

Nur die Slam-Poetin Freya Refining Hansen betont, dass sie “kämpfen wird, für alle, die gerade nicht über die gleichen Ressourcen verfügen, egal um welches Wesen es sich dabei handelt”. Mit “Superworten der Wahrheit und Ehrlichkeit” will sie Natur- und Menschenrechte einfordern.

Poetry-Slamerin Freya Refining Hansen (c) David Dunst

Von Superpower zu Bühnenheroes

Für Refining Hansen sind alle, die für das Klima kämpfen, “Superheld*innen und Superschurken”. Denn sie alle haben Superpower. Klar, das ist unter gewissen Umständen bestärkend. Vor allem, wenn sie gesteht, dass viele Freunde und Bekannte in ihrem Umkreis den Kampf aufgeben wollen.

Doch gilt das auch für die Gäste? Geht diese Metapher auf, wenn Superheld*innen in den Blockbuster-Filmen zumeist die Bösewichte im Alleingang besiegen und dann mit Lorbeer und Applaus der Massen gefeiert werden? 

Der Grad zwischen Empowerment, Selbstinszenierung und -vermarktung wird im Laufe des Abends immer schmaler. Nach den Büchern “Keine Zukunft ist auch keine Lösung” von Gabbert und “Fomo Sapiens” von Huber folgt das Sachbuch “Warum machen wir es nicht einfach?” der Umweltpsychologin Isabella Uhl-Hädicke, die über den persönlichen Umgang mit Klima-Emotionen spricht.

Wie Menschen ihre Bestimmung finden

Der Designer Harald Dunnink bemerkt als letzter Speaker des Abends schließlich mit einem Augenzwinkern, dass “man nicht auf der Bühne stehen kann, ohne mit einem Buch in Verbindung zu stehen.” Als Herausgeber des Buches “The School of Moral Ambition“ ist er Mitbegründer der gleichnamigen Schule und Bewegung.

Harald Dunnink (c) David Dunst

Wenn die besten Leute unserer Zeit in Bigtech-, Finanz- oder Consultingunternehmen versauern, werden unglaublich viele Talente verschwendet. The School of Moral Ambition will das ändern. Sie hilft moralisch ambitionierten Menschen ihren Beruf zu wechseln, um eine Karriere mit größerer Wirkung für das Allgemeinwohl zu verfolgen.

Stand jetzt sind es 20.000 Mitglieder*innen aus mehr als 140 Ländern, die sich der Schule angeschlossen haben. Da in Harvard besonders viele Talente schlummern, gibt es für die Uni ein eigenes Stipendienprogramm. Dunnink sieht sich als “Robin Hood” der Bewegung. Er will durch sie neu definieren, was es bedeutet, erfolgreich zu sein.

Gemischte Gefühle

Wie haben die Speaker auf die Zuhörer*innen gewirkt? Das lässt sich beim anschließenden Networking hinter dem Bühnenvorhang bei Häppchen und Getränken herausfinden. Ich spreche mit sieben Zuschauer*innen – und alle gehen mit gemischten Gefühlen heraus. Von übersprudelnder Euphorie und neu entfachtem Tatendrang ist wenig zu spüren. 

Die Vorträge wurden ganz unterschiedlich wahrgenommen. Was die einen überzeugte, fanden die anderen nicht so besonders. Bei drei meiner Gesprächspartnern*innen bleibt die Frage offen, wie man die Menschen erreicht, die sich nicht für Klimaschutz einsetzen. Dass Dunnink mit seiner School of Moral Ambition genau das versucht, kam wohl nicht ausreichend an.

Die Herkulesaufgabe

Gerade jetzt ist es wichtig, dass es Veranstaltungen wie die ERDgespräche gibt. Ich bin mir sicher, dass die Herausforderungen unserer Zeit besser zu bewältigen sind, wenn wir uns gegenseitig Energie und Inspiration geben und ein klares Signal für Zusammenhalt senden. Es bräuchte so viel mehr Events mit diesem Anspruch. Doch wie könnten die ERDgespräche noch packender werden? 

Wenn das Ziel ist, Hoffnung zu schenken, zu empowern und ein Gemeinschaftsgefühl zu entfachen, braucht es mehr Partizipation. Es braucht den Versuch, Erfahrungen zu schaffen, die noch mehr Teilhabe ermöglichen. Als Zuhörende darf nicht das Gefühl entstehen, dass die Speaker bereits Ikonen, Superhelden, Genies sind, die es besser wissen. Oder ohnehin schon erfolgreiche Harvard-Studierende für die große, richtige Sache mobilisieren. Dass eigene Bücher beworben werden, macht es nicht besser.

Dass die Speaker in manchen Aspekten unterschiedlicher Meinung sind, auch nicht. Dass ihre Einschätzung über den bereits vorhandenen Wissensstand der Gäste variiert, bremst den Drive. Dass jeder von Ihnen eine andere Zielgruppe anzusprechen scheint, verwässert die Gesamtwirkung. Die Vielfalt der Stimmen ist immer eine Bereicherung. Doch was bleibt, wenn die Brücken zum Publikum instabil sind? Wenn das Gesagte nachdenklich stimmt, statt mitzureißen?

Die Speaker_innen (c) Michele Agostinis

Huber schließt ihren Vortrag mit dem sehr gelungenen SatzMensch sein, können wir nicht allein”. Wie finden wir dahin? Schließlich soll nicht der Eindruck entstehen, dass lauter selbst optimierte Systemkonformist*innen andere von sich selbst und ihren Ideen überzeugen. 

Vielleicht mit weniger Ernst und mit mehr Humor, wie der Moderator Mathias Pascottini. Vielleicht braucht es nicht “die eine” geniale Metapher. Vielleicht braucht es ab und zu die Umarmung eines Fremden. Vielleicht sollte den Menschen mehr zugehört werden, die nicht schon im Rampenlicht stehen. Um in Erfahrung zu bringen, was sie wirklich brauchen. 

Am Ende hallen die Worte Pascottinis nach. Die Kraft liegt nicht darin, dass wir perfekt sind, sondern dass wir einfach nicht aufhören, uns zu bemühen.

Die Veranstaltung lässt sich über folgenden Link nachschauen: https://www.youtube.com/watch?v=ZfNVB6EEqKA

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