Vor der Türe einer französischen Familie tauchen Kassetten mit Videos aus ihrem Alltag auf. Aber von wem stammen die Aufnahmen – und wie wurden sie, ohne es zu merken, gefilmt?
Mit Caché bringt Felicitas Brucker den gleichnamigen Film von Michael Haneke als Theaterstück auf die Bühne. Content Warnings: Stroboskopeffekte, Blut, Polizeigewalt, Suizid!
Eine blecherne Stimme aus dem Off eröffnet den Abend: “Einfamilienhaus in einem Vorort – Innen – Morgen”. George (Sebastian Rudolph) und Anne (Johanna Wokalek) bereiten in ihrer Wohnung das Abendessen zu, als eine Videokassette vom Schnürboden aus in ihr Wohnzimmer kracht. Darauf zu sehen: George am Weg zur Arbeit. Sie werden überwacht. Oder zumindest beobachtet.
Knister*Wissen: Der Schnürboden (auch Seilboden) ist der Bereich direkt über der Bühne, der für Zuschauer*innen im Normalfall verdeckt bleibt. Seinen Namen bekommt er durch die Schnüre, die zur Steuerung für beispielsweise das Bühnenbild verwendet wurden. Heute läuft die Steuerung meistens automatisiert ab.
Von immer mehr Kassetten heimgesucht, begeben sich die beiden auf die Jagd nach dem Absender. Und nach der Antwort, wie sie immer noch unbemerkt gefilmt werden können. Doch nicht nur die Videos machen George zu schaffen. Es kommen auch Erinnerungen an seine Kindheit wieder hoch und lang vergessene Personen geistern ungesehen über die Bühne.

Nichts bleibt ewig verdeckt
Häppchenweise werden den Zuschauenden Details aus Georges Vergangenheit offenbart und langsam erhärtet sich ein Verdacht, wer hinter all dem Wahnsinn stecken könnte. Er teilt seine Vermutungen zwar nicht mit seiner Frau, doch auch dieses Geheimnis wird ihm durch ein neues Video genommen.
Mit seiner Vergangenheit konfrontiert, gerät George immer weiter ins Strudeln. Mehr und mehr Kassetten schlagen immer größere Löcher in seinen Alltag. Ebenso verschwindet sein Gefühl, genug Distanz zwischen sich und seine Kindheit gebracht zu haben. Kern der Sache scheinen für ihn die Lügen zu sein, die er als Kind über den algerischen Waisen Majid (Bernardo Arias Porras) erzählt hat. Diese führten dazu, dass Majid nicht von Georges Eltern adoptiert wurde.
Big Brother is always watching
Das Stück findet nie nur an einem Ort auf der Bühne statt. Auf bis zu drei Bildschirmen und Leinwänden wird gleichzeitig das Geschehen wiedergegeben. Manchmal zeitversetzt, manchmal nur ein Ausschnitt. Die Figuren sind nie unbeobachtet. Doch auch das Publikum ist nicht sicher vor Überwachung, wenn es an einem Punkt durch eine versteckte Kamera auf der Bühne gefilmt wird.

Mit nur drei Schauspieler*innen und einem Tänzer (Moritz Grossmann) auf der Bühne müssen sie immer wieder in andere Rollen schlüpfen. Irgendwann ertappt man sich als Zuschauer*in dabei, den Figuren bereits etwas vorzuwerfen. Obwohl man ihnen zum ersten Mal begegnet.
Ein (ver)spannender Abend
Man zweifelt an George und mit ihm. Bleibt in der unangenehmen Grauzone stecken, in der nicht eindeutig wird, wie viel Schuld an dem Geschehen auf ihn zurückfällt. Wäre es überhaupt fair, ihn nach all den Jahren so zur Rechenschaft zu ziehen?
Wie er wird man selbst misstrauisch, beinahe ruhelos. Etwas könnte gleich von der Decke fallen oder jemand könnte von hinten im Zuschauer*innenraum auftauchen. Eine Außenaufnahme des Volkstheaters, vor dem eine Kassette liegt, hilft natürlich auch nicht dabei, so richtig entspannt im Sessel zu sitzen.
Felicitas Brucker gelingt es, das Publikum an den Rand der Nervosität zu bringen. Sie schafft es, die Themen des Filmes aus 2005 mit den Ereignissen der letzten Jahre zu verknüpfen. Sie befreit uns nicht vom Drang, wegschauen zu wollen. Sie zeigt mit George genau diesen Teil von uns, der daran langsam zerbricht. Ein Nachdenken über Schuld und ihr Verjähren, Mündigkeit und Verantwortung. Auf jeden Fall ein packendes Theaterstück und mehr für alle, die den Blick nicht abwenden.
Knister*Tipp: Meine Doku-Empfehlung zum im Stück behandelten Massaker von Paris: Zahlen schreiben Geschichte – 17. Oktober 1961, Massaker von Paris | ARTE
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