Das Pen!smuseum – Mareike Fallwickl und Eva Reisinger ** Die Zukunft heißt Female Rage!

Im Buch Das Pen!smuseum steigen Frauen aus dem alten System aus und kreieren ein neues. Das männliche Genital nageln sie dabei an die Wand.

Im Buch “Das Pen!smuseum” steigen die Frauen aus dem gewohnten System aus und kreieren ein neues. Das männliche Genital nageln sie dabei wortwörtlich an die Wand.

(Achtung: Spoiler!)

Es ist rosa, kein Wälzer und (teilweise) von Mareike Fallwickl: Für mich drei gute Gründe, um ein Buch aufzuschlagen. Dafür ist aber natürlich auch der Inhalt entscheidend – und der hat mich bei Das Pen!smuseum (Leykam 2025) nicht enttäuscht.

Obwohl: Erwartet hatte ich etwas anderes, einen klassischen Roman. Den servieren die Autor*innen Mareike Fallwickl und Eva Reisinger sowie die Gastautorinnen Sophia Süßmilch und Jovana Reisinger (nein, nicht mit Eva Reisinger verwandt) aber nicht. Stattdessen liefern sie eine Anthologie mit 20 kurzweiligen Kapiteln, die das Leben verschiedener Protagonist*innen erzählen.

Knister*Wissen: Bei einer Anthologie handelt es sich um eine Sammlung bzw. Zusammenstellung von literarischen Werken – also zum Beispiel von Texten unterschiedlicher Autor*innen – zu einem Thema.

Ein Buch, das traurig macht

Als ich das letzte Wort auf Seite 203 aufsaugte, sackten meine Mundwinkel schlagartig nach unten. Ähnlich wie bei einer Lieblingsserie. Die finale Folge flackert über den Bildschirm und man fragt sich: Toll, und was mache ich jetzt mit meinem Leben? 

Die Szenen, teils abgeschlossen und eng miteinander verwickelt, waren für einige Tage meine Alltagsbegleiter. Sie zauberten mir verlässlich ein Lächeln ins Gesicht. Protagonistin Simone versüßte mir zum Beispiel meinen Cappuccino, als sie den schlaffen Penis ihres dösenden Gatten fotografiert und diese “Dick-Picks” später in einem Museum ausstellt. 

Die langweilige Busfahrt vertrieb ich mir mit den Späßen der zwei Freundinnen ab Seite 109, die einem Vergewaltiger chirurgisch näher kommen. Abends schickte mich die Geschichte über eine Frau, die ihrem Verfolger mit Bärenkräften die Brust aufreißt und schwesterlich auch andere Betroffene rächt, in einen erholsamen Schlaf.

Literarische Rachefantasien

Nein, jetzt mal ohne Spaß. Ich begrüße natürlich weder Gewalt noch Selbstjustiz. Ich bin auch keine Freundin eines Feminismus, der den Spieß einfach umdreht, alle Männer über einen Kamm schert und das “Matriarchat” als die große Lösung verkauft. Aber derartiges sehe ich in “Das Pen!smuseum” auch nicht. 

In „Das Pen!smuseum“ stecken 20 Texte von Mareike Fallwickl, Eva Reisinger, Sophia Süßmilch und Jovana Reisinger. (c) Pamela Rußmann

Die Geschichten in diesem Buch sind keine Anstiftung, kein Best-Practice, sondern Rachefantasien, Frustabbau – ganz harmlos auf Papier. Eine literarische Revanche, sozusagen. Die Autorinnen vertauschen die Rollenbilder und halten der Gesellschaft, in der wir leben, den sprichwörtlichen Spiegel vor.

Denn wer bitteschön würde es angemessen finden, einem Mann die Mitschuld an einem gewaltvollen Übergriff zu geben, nur weil sein Hemd zu weit aufgeknöpft war?

Das wäre doch komplett absurd, oder?

Täter-Opfer-Umkehr, nur halt umgekehrt

Im Kapitel “Taylor’s Version” von Eva Reisinger wird das besonders anschaulich: Darin entschuldigt die Chefin eines Stripclubs den Angriff ihrer Angestellten auf einen männlichen Gast schulterzuckend nach dem Motto: Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich.

“Meine Chefin wird der Polizei erklären, dass der Mann zu viel getrunken hat. Was sie wirklich unverantwortlich finde, besonders hier im Club allein unter Frauen. Er brauche sich nicht zu wundern, wenn er nicht mehr auf sich habe aufpassen können und das Hemd auch noch so weit offen gehabt habe. Sie wird ihnen auch erzählen, dass ich besonders leidenschaftlich sei und man mir das nicht übelnehmen dürfe. Ich sei eine ganz korrekte, eine die immer hilfsbereit sei, man brauche nur meine Freundinnen zu fragen. Mit Absicht würde ich einem Mann niemals wehtun.”

Das ist eine meiner Lieblingsstellen im Buch. Sie zeigt so schön, wie grotesk diese Argumentationen sind, die sonst Missbrauch von Frauen rechtfertigen oder abschwächen sollen.

Female Rage!

In diesem Buch werden Frauen wütend. Sie zeigen Widerstand, lehnen sich gegen Unterdrückung, Sexismus und Gewalt auf und brechen aus der Rolle aus, die ihnen im Patriarchat zugeteilt wird. Sie sorgen nicht länger für Bequemlichkeit oder gute Stimmung und kümmern sich nicht mehr um alles und alle.

Knister*Wissen: Weibliche Wut – auf Englisch: „Female Rage“ – bezeichnet ein kulturell und gesellschaftlich geprägtes Phänomen, das die Wut von Frauen beschreibt, die lange Zeit unsichtbar gemacht oder als hysterisch abgewertet wurde. Historisch wurzelt sie in Strukturen patriarchaler Unterdrückung, die Frauen systematisch Macht, körperliche Selbstbestimmung und öffentliche Stimme entzogen.

Die Autorinnen Mareike Fallwickl (u.a. “Und alle so still”, Rowohlt 2024), Eva Reisinger (“Männer töten”, Leykam 2023), Jovana Reisinger (u.a. “Pleasure”, Ullstein 2024) und Sophia Süßmilch erschaffen laute, selbstbestimmte, unangepasste, auch kriminelle Charaktere, die sich wehren und nicht mehr in ein Förmchen pressen lassen – und ich liebe alles daran.

Es ist so befreiend zu lesen, wie sich Frauen komplett schamlos die ganze Dessertkarte im Restaurant zweimal reinpfeffern und es bereitwillig in Kauf nehmen, “zu viel” zu sein – auch körperlich. Frauen, die sich so stark mit Botox aufspritzen lassen, dass sie der Aufforderung “Lächel’ doch mal” physisch gar nicht mehr nachkommen können.

Die ihre Ehemänner dafür bestrafen, mit einem “depperten Seufzer” auf die Couch zu fallen, anstatt ihren Teil der Hausarbeit zu erledigen. Und zwar, indem sie Fotos ihrer Penisse an Museumswände nageln – und ihr Genital somit zum reinen Ausstellungs- und Vergleichsobjekt herabstufen.

Viel Realität in der Fiktion

Trotz ihrer bemerkenswert kreativen Racheaktionen werden die Frauenfiguren dabei in den meisten Fällen nicht so grausam wie die Männer der realen Welt. Sie wollen bloßstellen, warnen, rächen – nicht vergewaltigen oder foltern, wie es im echten Leben zahlreiche Frauen erfahren. Ihre Taten sind Reaktionen. 

Die Protagonistinnen betäuben ihre Opfer nicht, um deren wehrlose Körper wildfremden Menschen zum Sex anzubieten, wie es Dominique Pelicot bei seiner Ehefrau Gisèle Pelicot tat. Sondern, um ihnen unter anderem zu zeigen, wie hässlich es ist, sich nach einer Nacht nicht an das Geschehene zu erinnern. Sie verstümmeln und morden nicht aufgrund eines verletzten Egos, sondern um einen Täter büßen zu lassen oder um andere vor ihm zu schützen. 

In diesen Geschichten also Trost und Unterhaltung zu finden, ist meiner Meinung nach nicht verkehrt. Immerhin leben Frauen in einer Welt, in der ihnen neben Mental Load oder Kinderbetreuung auch noch die Sorge um ihre eigene Sicherheit umgehängt wird, sodass sie sich eher für den Bären entscheiden würden:

“Während der ‘Mann oder Bär’-Debatte warst du tagelang wie an den Bildschirm geklebt. Ein Bär würde mich einfach nur töten, haben die Frauen im Internet geschrieben, er würde mich nicht in einen Keller sperren und jahrelang missbrauchen.”

Die Anthologie blendet die Realität nicht aus, sie nährt sich vielmehr von ihr. Das empfinde ich als große Stärke des Buches.

Mein Fazit

Passend eingefangen wird das in einem Ton, der zwischen Spaß, Übertreibung und bitterem Ernst hin und her schaukelt. Optisch wurde alles in süße Zuckerwatte gepackt: Verspielte Illustrationen von Andrea Zapanta Scharf samt Daumenkino geben dem Auge genau das nötige Gegengewicht zu den teils heftigen Ereignissen zwischen den Seiten. Unterschiedliche Textformen – wie Chatverläufe oder To-Do-Listen – bringen Abwechslung und sorgen für Erfolgserlebnisse, weil sich die einzelnen Kapitel so schnell verschlingen lassen. 

Ich wünschte, mehr Bücher wären so wie “Das Pen!smuseum”: amüsant und gnadenlos böse, mit vielen Stellen, an denen man plötzlich laut auflacht, bis alle im Bus irritiert aufschauen.

Nur am Ende, da wird man eben ein bisschen traurig, weil es viel zu schnell vorbei ging. Weil man stattdessen wieder Social Media öffnet und mitbekommt, wie kaputt die echte Welt doch ist. Und weil man erneut ein Buch aufspüren muss, das auf so lustige Art davon ablenkt oder die Realität wenigstens erträglicher macht. Ich bin aktuell auf der Suche.

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