Das Stadttheater Klagenfurt bringt Henrik Ibsens Die Frau vom Meere in einer modernen Neufassung von Moritz Franz Beichl auf die Bühne. Ein Abend zwischen Theater, Pop-Konzert und toxic situationships.
Worum geht’s?
In einem kleinen Haus am Meer lebt Ellida, die Frau vom Meere, mit ihrem Mann Doktor Wangel und den beiden Stieftöchtern Bolette und Hilde. Sie sehnt sich danach aus ihrem Leben auszubrechen und schwelgt in Erinnerungen an einen Seemann, den sie einst geliebt hat. Als dieser eines Tages vor ihrer Tür steht und sie auffordert, mit ihm zu kommen, hat sie die Chance, alles zu verändern.
Klangwolken und Erinnerungen
Das Stück beginnt mit Musik. Rauschende Klänge vermitteln die bedrohliche Kraft des Meeres, Tücher werden wie sich aufbäumende Wellen in die Luft gezogen und ein Haus, umgeben von einem kleinen Gartenzaun, erscheint. Hier also lebt Ellida (Doris Hindinger), die Frau vom Meere. Sie fühlt sich nicht glücklich in ihrem alltäglichen Leben. Ihr Mann (Dominik Warta) hängt emotional nach wie vor an seiner verstorbenen ersten Frau und die beiden Stieftöchter können sie nicht als Mutter akzeptieren – sie macht aber auch nicht viele Bemühungen um das zu ändern. Also sehnt sie sich danach auszubrechen und träumt von einem Seemann (Nico-Alexander Wilhelm), dem sie Jahre zuvor begegnet war.
Wenn sie in Erinnerungen an ihn versinkt, tritt er auf die Bühne, setzt sich ans Klavier und beginnt zu singen. Fabian Kuss hat hierfür wunderbar stimmige Klangbilder komponiert, und Songs, die stellenweise den Eindruck erwecken, man sei in einem Pop-Konzert gelandet. Die Musik schafft Platz, um eigene Erinnerungen und Erfahrungen hervorzurufen.

forever haunted by the look of your face
Im Vordergrund steht der Wunsch nach dem, was hätte sein können, aber doch nie passiert ist. Wer kennt es nicht, diese eine toxic situationship von der man einfach nicht loskommt, weil die Traumbilder die man sich selbst erschaffen hat groß genug sind um die Realität zu überdecken?
Je mehr Ellida von ihrem Seemann preisgibt, desto mehr bröckelt das Bild der Sehnsuchts-Gestalt. So berichtet sie, dass sie die Beziehung in einem Brief beendet hat – eine Tatsache, die er gekonnt ignorierte. Er schrieb ihr einfach weiterhin, als wäre nichts gewesen. Auch als er dann wirklich vor ihrer Tür steht und sie auffordert mitzukommen, akzeptiert er ihr „nein“ nicht. Stattdessen macht er ihr Vorwürfe, dass sie nicht auf ihn gewartet hat. Es fallen Sätze wie „Wogegen wehrst du dich so sehr?“ oder „Ich will doch nur dein Bestes.” Trotzdem hängt Ellida an der Vorstellung, die sie von ihm hat.
Doktor Wangel ist im Gegensatz dazu eine ziemliche Green Flag. Er weiß dass Ellida unglücklich ist, versucht sie zu verstehen und nimmt ihre Sehnsüchte ernst – auch wenn er diese nicht nachvollziehen kann. Als er merkt, wie wichtig es für sie ist, zwischen den Männern zu wählen, ohne an eheliche Versprechen gebunden zu sein, gibt er sie frei. Es liegt an Ellida, sich zu entscheiden.
“Du bist noch zu klein.” – “Mir scheint, du bist zu groß geworden.”
Dominik Warta lässt als Doktor Wangel leise, intime Momente zu, die seinen Kampf mit sich selbst verdeutlichen. Großartig ist auch Nico-Alexander Wilhelm, der als Seemann nicht nur mit seiner Bühnenpräsenz, sondern auch mit seinem Gesang begeistert. Mal zart, mal kraftvoll bringt er Kuss’ Melodien zum Klingen und malt mit seiner Stimme Klangbilder von Sehnsucht und Verlangen. Einzig Doris Hindinger in der Titelrolle der Ellida konnte mich nicht überzeugen. Ihre Sprachmelodie und Lautstärke blieben den gesamten Abend über relativ konstant, wodurch keine emotionalen Höhen oder Tiefen ihres Charakters entstehen konnten.
Die wahren Heldinnen der Inszenierung sind die Töchter Bolette (Josephine Bloéb) und Hilde (Elena Hückel). Auch Bolette sehnt sich danach, aus ihrem Leben auszubrechen. Sie möchte die Welt sehen und Neues lernen. Doch sie verspürt ein starkes Pflichtbewusstsein gegenüber ihrem Vater, den sie nicht alleine lassen möchte. Außerdem fällt es ihr sehr schwer, sich ihre Wünsche einzugestehen und diese zu äußern. Bloéb stellt diesen Zwiespalt ausdrucksstark dar. Man fühlt mit ihr, als sie mit sich selbst hadert, und atmet mit ihr auf, als es zum emotionalen Ausbruch kommt.
Hilde hingegen ist laut, frech und hat kein Problem damit, Dinge in die Welt zu schreien. Die beiden Schwestern haben gemeinsam, dass sie für sich einstehen und gezielt kontern, wenn Männer ihnen blöd kommen.

Sehnsucht und Familiendrama.
Besagte Männer sind Arnholm (Axel Sichrovsky) und Lyngstrand (Christian Erdt), die Bolette Avancen machen. Der eine ist ein alter Lehrer, der andere ein junger Künstler. Beide gehen auf, in der Idee, eine junge Frau könnte auf sie warten und sich nach ihnen verzehren. Bolette und Hilde zeigen, wie absurd die Äußerungen sind, die die Männer treffen – und wie aktuell dieses Verhalten auch heute noch ist.
Neben unerfüllten Sehnsüchten steht auch die Familiendynamik im Fokus. Sowohl Bolette als auch Ellida und Doktor Wangel müssen innere Kämpfe austragen, bevor sie es schaffen, miteinander über ihre Wünsche zu sprechen. Außenstehenden wie Arnholm gegenüber fällt ihnen das deutlich leichter. Zu groß ist die Angst, sich gegenseitig zu verletzen. Für den Comic Relief zwischen den Szenen sorgt Bettina Schwarz als Nachbarin Ballested. Mit ihrer Sprache malt sie ihre Landschaftsbilder mit der größten Natürlichkeit und sorgt für einige Lacher.
Moritz Franz Beichl ist hier eine frische, moderne Neufassung gelungen, die das Geschehen ins Heute verlegt. Die Inszenierung zeigt, dass selbst die Menschen, die einem am nächsten stehen, verborgene Sehnsüchte hegen. Eine absolute Empfehlung, sowohl für versierte Theaterbesucher*innen, als auch für Neulinge.
Das Stadttheater Klagenfurt zeigt Die Frau vom Meere noch bis 22. November 2025. Einführungen gibt es vor jeder Vorstellung um 19:00 im Galeriefoyer. Wo: Theaterplatz 4, 9020 Klagenfurt am Wörthersee. Mehr Infos gibt’s hier.


