Hier treffen Operetten-Tradition, Popkultur und politische Satire in einer surreal-bunten Karnevalsnacht aufeinander.
In Nina Spijkers’ Inszenierung der Strauss-Operette “Eine Nacht in Venedig” an der Volksoper Wien treffen Operetten-Tradition und moderne Popkultur aufeinander. Zwischen politischen Anspielungen, Superheldenkostümen und menschengroßen Fischen entsteht ein buntes Chaos aus Täuschung, Lust und Party.
Knister*Wissen: “Eine Nacht in Venedig” ist die neunte von insgesamt 15 Operetten von Johann Strauss. Es ist außerdem die einzige Operette, deren Uraufführung nicht in Wien stattgefunden hat.
Surreale Elemente (Achtung Spoiler!)
Pappacoda (Jakob Semotan), der charmante Macaroni-Koch, bringt das Publikum gleich zu Beginn zum Lachen. Zwischen Wiener Schmäh und Karnevalsstimmung führt er mitten hinein in das venezianische Treiben. Während sich die Stadt auf die Ankunft des Herzogs von Urbino (Lucian Krasznec) vorbereitet, der bekannt ist für seine Vorliebe für die Damen der Stadt, beginnt das Intrigenspiel: Barbara Delacqua (Ulrike Steinsky), die Frau des Senators Bartolomeo Delacqua (Marco Di Sapia), will sich eigentlich mit dem Neffen ihres Mannes, Enrico (James Park), treffen. Doch ihr Mann hat andere Sorgen, nämlich dass der berüchtigte Herzog sich an seine geliebte Barbara ranmacht. Er will sie nach Murano bringen, ganz weit weg vom Herzog.
Mittendrin: Annina (Johanna Arrouas), Fischerin und zugleich Barbaras Freundin. Sie ist die eigentliche Heldin dieses ersten Akts – frech, klug und mit einer Stimme, die sofort fesselt. Eine klassische Version ist es definitiv nicht, auch wenn anfangs die barocken Kleider da sind. Als Annina ihre Arie “Frutti di mare” singt, umgeben von menschengroßen Fischen, ist das nämlich irgendwo zwischen surrealem Traum und ironischem Bühnenwitz. Schon hier wird klar: In dieser Nacht in Venedig verschwimmen die Grenzen.

Politische Satire incoming
Als sich alle auf den Besuch des Herzogs von Urbino vorbereiten, geraten die drei Senator*innen ins Gespräch. Über den Karneval, ihre potentiell gefährdeten Ehefrauen und vor allem ihre politische Einstellung. Denn die Senator*innen Delacqua, Barbaruccio (Andreas Patton) und Testaccio (Ursula Pfitzner) treten als politische Karikaturen auf. Delacqua verkörpert die “Mitte” (ein bisschen “Friedrich Merz-Vibes”), Barbaruccio (in einem grünen Umhang) steht für die linke-Fraktion und Testaccio (im blauen Umhang) zieht mit ihrer Parole „Make Venice Great Again“ die rechte Trump-Karte. Diese kleine Politsatire funktioniert überraschend gut: Sie bringt Schwung in die Handlung und verleiht der Operette einen gegenwärtigen, ironischen Unterton.
Ebenfalls spiegeln das die Kostüme der Senator*innen für den Karneval wieder. Barbaruccio ist in einem Hipster Kostüm zu sehen, mit zwei Zöpfen und einem gelben Regenmantel, Testaccio in einem Trump-Kostüm mit einer MVGA (Make Venice Great Again) Kappe. Senatorin Testaccio überzeugt nicht nur mit Trump-Witzen, sondern auch Alice Weidel bleibt mit satirischen Bemerkungen nicht verschont. Vor allem bringt Testaccios Ehefrau Constantina (Martina Dorak) die Satire zum Leben. Im ironischen Kostüm einer Schweizer Alpenkuh und mit passendem Dialekt, sorgt sie in den folgenden Szenen für zusätzlichen Spaß als Weidels Ehefrau.

Selbst die Verwirrung ist verwirrt
Der Herzog trifft ein und die ganze Stadt ist im Rausch. Ein letzter Check von Herrn Delacqua: Seine Frau soll wissen, dass sie in die Gondel nach Murano steigen muss – ohne zu wissen, dass Barbara gleich mit ihrer Freundin Annina ausgetauscht wird. Während ein Geburtstagslied für Delacqua gesungen wird, schleicht Barbara mit dem Neffen Enrico davon. Und das Chaos beginnt. Annina, alias Barbara, ist ebenfalls als Superwoman verkleidet. Sie wird stattdessen von Caramello (David Kerber), dem Barbier vom Herzog und heimlichen Verehrer von Annina, in der Gondel weggefahren. Caramello hat nämlich durch Ciboletta (Juliette Khalil), die Frau von Pappacoda, erfahren, dass Delacqua Barbara nach Murano schicken will. Also schmiedet er eine List mit dem Herzog, der in Barbara verliebt ist. Er führt Barbara zum Herzog und bringt sie in dessen Palazzo – und die Verwechslungskomödie kann so richtig in Fahrt kommen.
Angekommen beginnt Caramello sofort mit Flirtversuchen bei der vermeintlichen Barbara – doch die lässt ihre Maskerade auffliegen. Seine Versprechen, nur Annina zu lieben und sie zu heiraten, sind damit hinfällig. Annina nutzt die Gelegenheit und zeigt Caramello, dass er nicht so einfach davon kommt. Als falsche Barbara flirtet sie mit dem Herzog. Doch der Herzog ist diesmal alles andere als der selbstsichere Frauenheld: Ein nervöser Mann, dessen Batman-Cape bei jedem Gespräch mit „Barbara“ und den anderen Frauen zittert.

Ciboletta und Pappacoda for the Win
Auf dem Karnevalsfest zeigt sich die Partygesellschaft in bunten Comic- und Popkultur-Charakteren: Catwoman, Hulk, Spiderman, Sandy von Grease uvm. Auch Herr Delacqua zeigt sich mit einem Joker-Kostüm sehr passend, als Erzfeind von Batman. Pappacoda ist als Super Mario verkleidet, springt mit der legendären Super Mario Musik über den Festtisch und kann gar nicht genug vom Festschmaus bekommen. Hier sind wieder surrealistische Elemente vorhanden, diesmal keine Fische, sondern riesige Lebensmittel – Tomaten, Pasta, Zwiebel, Steak. Ähnlich wie bei Anninas Lied mit den überdimensionalen Fischen wird eine vielleicht etwas ruhigere Szene lebendig und witzig aufgemischt.
Am lustigsten jedoch war Ciboletta. Sie hat von Anfang an dem Stück mit ihrem Humor den richtigen Schwung gegeben. Am Karnevalsfest wurde sie dann ebenfalls in dieses Verwechslungsspiel hineingezogen: Herr Delacqua verkleidet Ciboletta als Superwoman, um sich selbst den Verwalterposten beim Herzog zu sichern. Plötzlich stehen also zwei „Barbaras“ vor dem Herzog – Ciboletta und Annina. Ciboletta enthüllt sich selbst, doch statt dass Chaos ausbricht, verbringen die drei den Abend gemeinsam: Ciboletta hat sich eine Stelle als Köchin beim Herzog gesichert, während Annina immer noch Caramello eifersüchtig machen will.

Die weiblichen Rollen im Mittelpunkt
Die ganze Verwechslung findet ihr Ende, als schließlich die echte Barbara auf dem Karnevalsfest auftaucht. Denn sie hat genug von ihrem Toyboy Enrico. In dieser Inszenierung ist sie eine selbstbewusste, etwas ältere Frau, die mit Wiener Charme nichts anbrennen lässt. Als dann plötzlich drei Barbaras da stehen, kennt sich keiner mehr aus, bis Annina das ganze Spiel auffliegen lässt, aber trotzdem loyal gegenüber Barbara bleibt. Sie sagt dem Herzog nur, dass sie als Freundin von Barbara seine Treue ihr gegenüber testen wollte. Übrigens: Herr Delacqua alias der Joker sucht immer noch seine Frau. Er rennt quer durch die Bühne und ahmt die Verfolgungsszene aus dem Joker-Film nach, während er laut „Barbara“ schreit. Nach dem vierten Mal wirkt es jedoch etwas abgedroschen, sorgt aber trotzdem noch für gedämpfte Lacher.
Schlussendlich behalten die Frauen das letzte Wort und haben ihre Männer im Griff. “Eine Nacht in Venedig” wird so zu einer modernen und vielleicht auch sogar feministischen Operette, die teils die Rollenbilder auf den Kopf stellt. Zwischen Superheldinnen, Trump-Parodien und surrealem Bühnenchaos gelingt Spijkers eine coole neue Inszenierung. Die Bühne (Studio Dennis Vanderbroeck) sah aus wie ein riesiges Papphaus – schlicht und weiß. Das Bühnenbild erinnert an die hellen Häuser Venedigs und passt zum surrealen Vibe des Stücks. Da diese Inszenierung sehr laut und farbenfroh ist, braucht es meiner Meinung nach auch kein übertrieben-präsentes Bühnenbild. Das Orchester unter der Leitung von Joel Alexander hat ebenfalls toll gespielt und wurde auch ins Bühnengeschehen eingebunden.
Das Stück ist witzig, frech und zeitgemäß inszeniert: Gerade deswegen könnten auch Opernneulinge an diesem Stück Gefallen finden. Zwischenzeitlich dachte ich immer wieder, dass es ein modernes Theaterstück wäre, bis zu dem Zeitpunkt, als die Arien und Duette gesungen wurden. Statt “altmodischer” Opernstimmung gibt es hier Popkultur, Ironie und starke weibliche Figuren. Ein perfekter Einstieg für alle, die eine Operette mal anders erleben wollen.
Infobox: “Eine Nacht in Venedig” ist noch bis 19. Dezember 2025 in der Volksoper zu sehen.


