Ein Mord, eine Exekution und ein Todesfall: Kann man eine Oper als Krimi nacherzählen? Das Format “Eine Stunde mit …” in der neuen Staatsoper (aka “NEST”) erklärt jedes Mal eine andere Oper in einem True Crime-Format, mit Live-Musik und Videos von der Bühnenproduktion. Diesmal an der Reihe: TOSCA von Giacomo Puccini.
“Er hat andere gerne leiden sehen. Aber tun wir das nicht alle? Sonst würden wir ja nicht in die Oper gehen.” – Nick M. Sternitzke über die Figur des Scarpia in “Tosca”
Nick-Martin Sternitzke und Carlos Chamorro sind als Chefermittler auf Spurensuche, denn der skrupellose Polizeichef Scarpia wurde ermordet. In der Oper “Tosca” ist, zur Abwechslung mal, die Frau die Täterin. Vor einem bitteren Ende schützt es sie dennoch nicht. Und wie hängt das alles eigentlich mit Napoleon zusammen?

Die Werkeinführung, die es braucht.
Selbst die eingesessensten und ältesten Opernbesucher*innen kennen nicht jede Oper auswendig. Umso wichtiger sind Werkeinführungen, bei denen (meistens) Dramaturg*innen oder Personen vom Haus kurz die Handlung erklären. Leider sind es oft eben diese Werkeinführungen, die auf die Basics vergessen. Wann spielt das Stück, wer sind die wichtigsten Charaktere und worum geht’s eigentlich? Am besten werden diese Fragen so klar und kurz wie möglich beantwortet. Ganz nach dem Motto: “Keep it short and simple”. Das Format “Eine Stunde mit Tosca” macht im Prinzip genau das. Mit dem Unterschied, dass es keine Werkeinführung vor einer Aufführung ist, sondern ein eigenständiges Stück.
Knister*Tipp: Am 27. September 2025 um 19:00 kann man sich die Oper “Tosca” live aus der Wiener Staatsoper kostenlos als Stream reinziehen. Ganz untraditionell mit Popcorn und im Pyjama auf der Couch, wie Puccini es gewollt hätte (hoffentlich jedenfalls).

Gossip, True Crime & Publikums-Interaktion
Es fühlt sich an, als würde man gemeinsam bei einem Kaffee sitzen und über die Oper reden. Auch wenn Nick M. Sternitzke und Carlos Chamorro ihre Rolle als Kriminalermittler super spielen: Hier entsteht eine Nähe zu den Menschen auf der Bühne, die man sonst nicht gewöhnt ist. Am Anfang weiß niemand so recht, was da jetzt tatsächlich auf einen zukommt – bis die ersten Zuschauer*innen eingebunden und auf die Bühne geholt werden. Das sorgt definitiv für mehr Lockerheit im Raum und sprengt das rein “frontale”, wo sonst das Publikum einfach nur zuschaut.
Mein Tipp für alle, die kein Fan von Publikums-Interaktion sind: Schaut unter eure Sitzplätze und setzt euch nicht allzu weit nach vorne.
Die Stunde vergeht schnell und ist mit viel Information gefüllt. Vom Kontext zur Entstehungsgeschichte der Oper, den Handlungsmotiven der einzelnen Charaktere bis hin zu musikalischem Know-How wie den Leitmotiven bzw. Wiedererkennungs-Melodien der einzelnen Personen: Es hätte locker eine halbe Stunde länger dauern können, weil es einfach so viel zu erzählen gab. Gleichzeitig ging es an manchen Stellen ein bisschen zu schnell, mit fast zu vielen Gedankensprüngen, sodass man kurz den Faden verloren hat. Sternitzke und Chamorro konnten die Aufmerksamkeit jedoch schnell wieder auf das Wesentliche lenken.
Knister*Wissen: Ein “Leitmotiv” oder “Thema” ist eine bestimmte Melodie, die einem Charakter/einer Figur zugeordnet ist. Immer wenn diese Figur auf die Bühne kommt oder z.B. im Film zu sehen ist, hört man genau diese Melodie. Gut erkennbar ist das z.B. bei den James Bond-, Mission Impossible– oder Harry Potter-Filmen. Oder die Melodie der Hobbits bei “Herr der Ringe” / “Shire-Theme”.

Achtung, jetzt wird’s fachlich.
Wenn man eine Oper für Kulturbanausen, Interessierte und Stammpublikum zusammenfasst, dürfen die wichtigsten Tracks nicht fehlen. Während Chamorro am Klavier die Leitmotive der Charaktere gespielt hat, gab es gesangliche Unterstützung aus dem Haupthaus der Staatsoper.
Anna Bondarenkos Sopran (Anm. die hohe Frauenstimme) war fast zu laut im kleinen Raum vom NEST. Gleichzeitig hat sie gezeigt, was Operngesang kann: Nämlich bis in die Knochen zu vibrieren. Durch die unmittelbare Nähe zur Sängerin wundert mich das allerdings nicht, da war die fünfte Reihe wohl einfach zu weit vorne. Lukas Schmidt (Tenor, Anm. die hohe Männerstimme, meistens die Heroes & Love Interests) wanderte dramatisch und schön zu seiner Exekution. Er hatte die Balance des Raumes mehr im Griff – allerdings ist es immer leichter, wenn man erst als Zweiter singen muss und die Akustik schon besser einschätzen kann.
Alles in allem ein absolut notwendiges und gelungenes Format. Es schafft genau das, was es soll: Es macht neugierig, bietet Einblicke in das, was auf einen zukommt und erklärt recht leicht, worum es eigentlich geht. Der nächste Durchgang findet erst im Dezember statt – diesmal zu Georges Bizets “CARMEN”.
Und wie hängt das jetzt mit Napoleon zusammen?
Jetzt kann ich euch hier natürlich nicht hängen lassen. Die Oper Tosca spielt während des Krieges zwischen Österreich-Italien und Frankreich um 1800. Wenn ich etwas aus der Erklärung von Sternitzke und Chamorro mitgenommen habe, dann das: Bei all dem Drama, Scarpias Ermordung und Toscas Tod, hat am Ende selbst das Gottesgebet des Chors nicht geholfen. Denn Napoleon ist trotzdem einmarschiert.