Eine anstehende Apokalypse, tanzende Glitzeranzugträger*innen, ein nicht endender Zug, eine unangenehme Familiendynamik und der schwierige Umgang mit einer unsicheren Zukunft: Das war “Freier Fall” vom CityLab der Wiener Staatsoper.
Ich habe die Abteilungsleiterin der Outreach-Abteilung Krysztina Winkel und ihre Kollegin Katharina Augendopler zum Interview getroffen und auch ein paar Stimmen aus dem Ensemble eingeholt. Krysztina und Katharina arbeiten gemeinsam in der Outreach-Abteilung der Wiener Staatsoper und mit ihrem Kollegen Carlos haben sie das Stück “Freier Fall” inszeniert und mit dem Community Ensemble des CityLab entwickelt.
Wer oder was ist das CityLab – und wie wird man Teil davon?
Krysztina: Das CityLab ist ein generationsübergreifendes Community Ensemble, wo alle mitmachen können, die einfach mal Lust haben, auf der Bühne zu stehen und Musik und Theater ausprobieren wollen. Heute haben wir 17 Menschen zwischen 13 und 70 Jahren erlebt, die durch ihre eigenen Geschichten und inspiriert von Becketts “Endspiel” und Kúrtags “Fin de partie” dieses Stück entwickelt haben.
Man braucht Lust, etwas Neues auszuprobieren und sonst nichts. Einfach Spaß und Freude! Jeder ist bei uns willkommen. Es ist eine tolle Möglichkeit, die Staatsoper und das Musiktheater kennenzulernen. Man arbeitet direkt mit Künstler*innen der Staatsoper zusammen, wie hier beispielsweise mit dem Bühnenorchester.
Kathi: Einfach ausprobieren und den Mut haben, sich in so ein Projekt reinzustürzen! Das Ensemble ist stark zusammengewachsen und will eigentlich gar nicht, dass es aufhört…
Wie kam es zu “Freier Fall”? Wie kann man sich den Probenprozess vorstellen?
Katharina: Diesmal haben wir uns mit absurden Themen und dem Weltuntergang auseinandergesetzt. Wir treffen uns im Herbst mit dem Ensemble, haben eine Kennenlernphase, probieren aus, improvisieren und arbeiten mit unterschiedlichen Methoden. Es wird musiziert und improvisiert, wir machen Bewegungs- und Körperarbeit. Daraus kristallisieren sich dann nach und nach Themen heraus, die wir interessant finden und weiterführen möchten. So wächst dann auch das Stück.
Es ist eine komplexe Reise, da wir bei null starten und über acht Monate hinweg das Stück entsteht. Durch den generationsübergreifenden Ansatz entstehen sehr spannende und interessante Gespräche und Diskussionen, aus denen ein vielfältiges Stück entsteht.
Was bedeutet es für euch, im NEST auftreten zu können?
Krysztina: Es ist wirklich total aufregend! Die Neue Staatsoper ist tatsächlich eine eigene kleine Oper mit Orchestergraben, Schnürboden und allen möglichen technischen Besonderheiten. Für uns war es etwas besonderes, dass wir diesmal sogar etwas von der Decke runterlassen konnten.

Aber was sagen die Teilnehmer*Innen des CityLabs?
Aurelia, Benita, Johanna und Robert haben aus Sicht des Ensembles von ihren Erfahrungen aus dem partizipativen Projekt gesprochen.
Aurelia wollte immer schon bei einem größeren Theaterprojekt mitmachen und ist durch eine Freundin auf das Projekt gestoßen. Sie ist nach eigener Aussage nicht sehr musikalisch, aber hatte voll Bock drauf und es einfach gemacht. Es gab viel Improvisation – mit dem hatte sie gar nicht gerechnet und fand diesen Ansatz einfach großartig. Es war nie klar, was einen bei der nächsten Probe erwartet
Ihr Lieblingsmoment? Sie hatten fünf Minuten um ihre Ideen zu pitchen. Danach war sie einfach von der Kreativität und Originalität aller Kolleg:innen begeistert.
Benita spielt schon seit vielen Jahren Impro-Theater. Dieses Projekt war eine tolle Gelegenheit für sie, auf der Bühne zu stehen, da es sehr zugänglich war. Die Offenheit und Zugänglichkeit vonseiten des Hauses, dass man einfach mitmachen kann, unterscheidet das Projekt von anderen. Professionelle kommen auf einen zu und man entwickelt mit Spaß und Kreativität etwas eigenes – und es ist für alles Platz.
Ihr Lieblingsmoment? In der Gruppe wurde beschlossen, Schwestern zu spielen und ein Portal als Rettung vor dem Weltuntergang zu malen. Die Dynamik und Harmonie in der Kleingruppe hat allen so gut gefallen, dass es direkt in das Stück übernommen wurde.

Johanna und Robert repräsentieren im Gespräch die ältere Generation des Projektes. Für sie war das CityLab eine Erfahrung und der Versuch, das Fiktive der Rolle mit dem Privaten zu verbinden. Sie haben durch Bekannte und über ein Stück der partizipativen Projekte in der Brotfabrik vom CityLab erfahren.
“Es macht so viel Freude, gemeinsam etwas zu entwickeln – es ist eine tolle, kreative und konstruktive Atmosphäre, die absolut empfehlenswert ist.”
Man geht mal gemeinsam in die Oper, man darf Musik kreieren, ausprobieren und aus einem großen Raum etwas Besonderes machen- das ist einmalig! Der Probenprozess war sehr intensiv, da es für sie sehr schnell in was Konkretes überging und man innerhalb kürzester Zeit dann doch die Texte auswendig lernen musste.
Ihr Lieblingsmoment? Für Robert war es der Schluss-Applaus, denn da ist das Adrenalin wieder gesunken. Für Johanna gab es nicht den einen Moment, aber dafür viele intensive.
“Freier Fall”: Was passiert?
Das Stück ist eine einstündige Musiktheater-Performance, die das Ende der Welt zum Thema gemacht hat. Anhand drei Gruppen wird aufgezeigt, wie unterschiedlich der Umgang mit dem furchtbaren Ausgang sein kann.
Die “Firmengruppe” beginnt mit glitzernden Anzügen und geilen Beats das Stück und ich muss ehrlich gestehen – damit hatten sie mich schon mal für den Anfang. Es gibt für mich einfach nichts besseres, als wenn auf einer Theaterbühne Nebelmaschinen, ein Beat und großartige Kostüme zu sehen sind. Die Firmengruppe hat die Apokalypse passend zu unserer konsumsüchtigen Zeit aus Marketing-Sicht aufgegriffen. Da schaut das Nepo-Baby, wie man “brauchbare” Tools für das Ende entwickeln kann – das hätte man nicht sozialkritischer und besser einbinden können.
Die zweite Gruppe zeigt sich in einem Zugabteil mit vier Individuen, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Eine junge, ambitionierte Feministin, ein gescheiterter Dirigent, eine zum dritten Mal versetzte Braut, und eine hypochondrische Bazillen-Vermeiderin. Sie sind für viele Wochen in einem kleinen Abteil zusammengepfercht, denn der Zug scheint nicht anzuhalten. Über Ärgernisse, Streitereien und den ständigen Heulkrämpfen der Braut finden sie dennoch einen gemeinsamen Weg und schaffen es relativ unbeschadet durch ein Twister-Spiel.
Die dritte Gruppe bearbeitet die Familiendynamik von vier Schwestern und die Macht der unausgesprochenen Worte. Die jüngeren Schwestern werden beschützt, ohne die angespannte Atmosphäre zu bemerken. Die verschwundene Mutter und die fehlende Kommunikation hinterlassen Spuren und führt dazu, dass die Jüngeren ihr eigenes Portal zu einem fernen Ort kreieren.
Fazit: Gesellschaftskritik und Harmonie
Dank der technischen Möglichkeiten des neuen Opernhauses wurde hier eine ansprechende und sozialkritische Performance auf eine professionelle Bühne gebracht. Es ist ein guter Weg, um jüngeren Zuseher*Innen mehr Lust auf Theater zu machen. Es hat mich beeindruckt, mit wie viel Freude und Engagement dieses Stück erarbeitet wurde und wie die Szenen trotz verschiedener Generationen so harmonisch und divers erarbeitet werden konnten. Ein großes Lob an Krysztina, Kathi und Carlos!
Infobox:
Das “CityLab” ist ein generationsübergreifendes, partizipatives Musik- und Performance-Projekt, welches von der Outreach-Abteilung der Wiener Staatsoper geleitet wird. Menschen unterschiedlichen Alters können Teil davon werden, diese Saison waren sie zwischen 13 und 70 Jahren alt. Sie erarbeiten über mehrere Monate hinweg durch Improvisation, Offenheit und Kreativität ein eigenes Stück. Als Vorlage dient meist ein von den Projektleiter*:innen ausgesuchtes Werk oder ein derzeit in der Wiener Staatsoper spielendes Stück.