Wer ins Kino geht, um zu entspannen, ist bei Kurdwin Ayubs Filmvorführungen wohl fehl am Platz. Denn die aus dem Irak stammende Regisseurin hat ein Händchen für Provokation und sorgt vor allem mit ihrer unvorsichtigen Darstellung migrantischer Figuren für Aufregung. Anlässlich der kurdischen Filmtage im Votiv Kino erzählt sie, warum sie diesen Zugang wählt, und plädiert für künstlerische Freiheit.
Als „Shootingstar der österreichischen Filmszene“ wurde Kurdwin Ayub vom deutschen Medium „Die Zeit“ bezeichnet – zurecht: Ihre mehrfach prämierten Filme, darunter „Sonne“ (2022) und „Mond“ (2024), sind schon seit Jahren international beliebt. Gut besucht war heuer auch ihr Theaterdebüt „Weiße Witwe“, welches im Rahmen der Wiener Festwochen zu sehen war. Die Gemeinsamkeit all ihrer Werke: Flucht.
Flucht und Freiheit
„Ich bin draufgekommen, dass es in meinen Arbeiten immer ums Weglaufen geht“, erklärt Ayub. „Ich selbst bin mit meiner Familie als Kind aus Kurdistan, Irak geflüchtet. Das prägt meine Kunst noch heute.“ Sie hält inne, überlegt. „Vielleicht geht es aber in jedem Film darum, vor irgendetwas wegzurennen, um freier zu sein.“

Im filmischen Ausdruck habe sich Ayub oft eingeschränkt gefühlt, da es immer wieder Berührungsängste mit migrantischen Themen gebe. So erzählt sie, ein Festivaldirektor habe einmal besorgt hinterfragt, ob ein weißes Publikum die Familienprobleme der ausländischen Figuren in „Sonne“ vorgeführt bekommen dürfe. „Falsche Rücksicht“ nennt die 35-jährige Regisseurin dieses Verhalten. Es führe dazu, dass der Einstieg in die Filmbranche für migrantische Personen zusätzlich erschwert würde, und man kulturelle Herausforderungen den Rechten als Waffe überlasse.
Mit der Frage, was im Zusammenhang mit migrantischen Geschichten gezeigt werden darf, werde das Ziel verfehlt. „Es geht weniger darum, wie man migrantische Themen darstellen darf. Es geht darum, dass Migrant*innen überhaupt Filme machen können“, so Ayub.
„Die Filmbranche ist ohnehin sehr elitär und unzugänglich. Wenn migrantische Personen eine Geschichte erzählen wollen, lasst sie erzählen! Egal, ob es der blödeste Actionfilm oder eine Empowerment-Story ist.“
Provokation statt Political Correctness
Ayub selbst bevorzugt provokante Zugänge, schockierende Inhalte und offene Enden: Eigenschaften, die auch ihr Spielfilm „Mond“ besitzt – zu sehen am 30. Oktober im Rahmen der kurdischen Filmtage (29.10.-02.11.) im Votiv Kino.
Inspiration für das Werk fand die Regisseurin in der Geschichte rund um Latifa, Tochter des Herrschers in Dubai. 2018 erregte diese durch einen Fluchtversuch internationale Aufmerksamkeit. „Ich habe mich ihr nah gefühlt und musste einen Film über sie machen“, so Ayub.
In „Mond“ fährt die ehemalige Kampfsportlerin Sarah (Florentina Holzinger) nach Jordanien, um drei Schwestern einer reichen Familie zu trainieren. Sie stolpert dabei aber genau in jene Vorurteile, die ihre österreichischen Freund*innen zuvor noch belacht hatten. Stereotype zeigt Ayub dabei ohne Hemmungen.
„Filme wie Mond und Sonne gehen mit Political Correctness vielleicht nicht einher. Ich kann keine provokanten Inhalte machen, ohne zu triggern. Ein Dilemma.“ Doch sie möchte das Publikum etwas fühlen lassen und mit Themen konfrontieren, die es andernorts nicht zu sehen bekommt. Ein Einblick in die Lebensrealitäten anderer Kulturen. Ihre Perspektive betrachtet sie allerdings nicht als absolute Wahrheit, sondern als Teil eines Ganzen.

„Sterne“ und die Seele des Mannes
Zu Ayubs „Teil des Ganzen“ zählt schon bald ein weiteres Werk: Aktuell laufen die Vorbereitungen für ihren neuen Film „Sterne“. Dieser handelt von einer Journalistin, die 2014 versucht, aus Mossul zu flüchten, als dort der IS in einer Blitzoffensive die Stadt einnimmt.
In „Sterne“ beschäftigt sich die Regisseurin erstmals intensiver mit „der Seele des Mannes“, nachdem sie bisher primär weibliche Rollen beleuchtet hat. „Frauenfiguren bewegen mich sehr“, sagt Ayub. Deutlich wird dies nicht zuletzt in „Mond“ anhand der Beziehungen zwischen Sarah und den drei jordanischen Schwestern. Weiblicher Zusammenhalt zieht sich ebenso sehr durch Ayubs Filme wie das Thema der Flucht. Und auch in Interviews ruft sie regelmäßig zu Solidarität unter Frauen auf: „Frau sein verbindet – über kulturelle Differenzen hinaus.“


