Lass uns die Welt vergessen – Volksoper Wien ** Eine theatralische Warnung für unsere Zeit

Historische Wunden treffen auf aktuelle Politik, während auf der beeindruckenden Bühne der Wiener Volksoper die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen: Die Operette „Lass uns die Welt vergessen führt das Publikum meisterhaft durch ein Wechselbad der Gefühle. Mit schmerzhafter Aktualität erinnert sie daran, was passieren kann, wenn kulturelle Freiheit politischen Machtspielen zum Opfer fällt – ein theatralisches Erlebnis, das lange nachwirkt und zum Nachdenken anregt.

Lass uns die Welt vergessen“ in der Wiener Volksoper war eine Premiere für mich in diesem wunderschönen Haus. Was mich erwartete, war ein Stück, das tiefer ging als nur oberflächliche Unterhaltung und mich auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitnahm.

Verschwimmende Grenzen zwischen Realität und Fiktion

Was dieses Stück so besonders macht, ist die geschickte Verwischung der Grenzen zwischen verschiedenen Realitätsebenen. Als Zuschauer war ich oft verwirrt: Was gehört zur eigentlichen Aufführung? Was ist eine Probe innerhalb des Stücks? Was ist die persönliche Geschichte der Darsteller*innen? Diese Mehrdeutigkeit erzeugt eine faszinierende Spannung, die mich vollkommen in ihren Bann zog.

Die Inszenierung ist ungewöhnlich dicht besetzt – so viele Darsteller*innen gleichzeitig auf der Bühne hatte ich zuvor selten erlebt. Diese Vielschichtigkeit macht es manchmal schwer, sich auf einzelne Charaktere zu konzentrieren, aber genau diese Komplexität erzeugt die besondere Atmosphäre des Stücks.

Lass uns die Welt vergessen, Volksoper Wien, Ulrike Steinsky (Frida Hechy), Sebastian Reinthaller (Emil Kraus), Julia Koci (Kathy Treumann), Carsten Süss (Fritz Löhner-Beda), Axel Herrig (Fritz Köchl), Nicolaus Hagg (Walter Schödel), Andreas Patton (Ossip Rosental), Ensemble (c) Barbara Pálffy
Ulrike Steinsky (Frida Hechy), Sebastian Reinthaller (Emil Kraus), Julia Koci (Kathy Treumann), Carsten Süss (Fritz Löhner-Beda), Axel Herrig (Fritz Köchl), Nicolaus Hagg (Walter Schödel), Andreas Patton (Ossip Rosental), Ensemble (c) Barbara Pálffy

Historischer Kontext mit erschreckender Aktualität

Obwohl ich mich nicht vorab mit dem Stück beschäftigt hatte, bestätigte sich meine Vermutung zum Inhalt. Es geht um die dunkle Zeit im zweiten Weltkrieg, in der viele herausragende Künstler zur Flucht gezwungen wurden – ein enormer Verlust für die Kulturszene.

Was mich besonders berührte und zum Ende des Stücks sogar zu Tränen rührte, war die erschreckende Parallele zur Gegenwart. Gerade jetzt, in Zeiten wichtiger politischer Entscheidungen wie der anstehenden Wien-Wahl, wird deutlich, wie wichtig es ist, eine offene und freie Kulturszene zu bewahren. Die Bedrohung durch politische Kräfte, die in die Kulturlandschaft eingreifen wollen, ist real und erinnert auf beunruhigende Weise an die im Stück dargestellte Vergangenheit.

Lass uns die Weltvergessen, Volksoper Wien, Sofia Vinnik (Olga Zelenka - Resi), Julia Koci (Kathy Treumann - Anni), Theresa Dax (Trudl Möllnitz - Franzi), Nicolaus Hagg (Walter Schödel - Werkmeister) (c) Barbara Pálffy
Sofia Vinnik (Olga Zelenka – Resi), Julia Koci (Kathy Treumann – Anni), Theresa Dax (Trudl Möllnitz – Franzi), Nicolaus Hagg (Walter Schödel – Werkmeister) (c) Barbara Pálffy

Ein Bühnenbild, das beeindruckt

Die Volksoper überraschte mich auch mit ihrer beeindruckenden Bühnen-Architektur. Die Tiefe der Bühne erlaubt vielfältige szenische Gestaltungen, insbesondere die kreative Nutzung verschiedener Ebenen. Besonders faszinierend war die Drehbühne, die immer wieder neu konfiguriert wurde – mal breiter, mal schmaler – um verschiedene Wohnräume und Lebenssituationen der Charaktere darzustellen. Das Bühnenbild spiegelte kunstvoll die Lebensumstände der Protagonisten wider, besonders eindrücklich bei der Figur, die ständig ihren Koffer packt. Ein durchgehendes Motiv, das die Unsicherheit und den drohenden Verlust der Heimat symbolisiert.

Ein Mahnmal in Operettenform

Lass uns die Welt vergessen“ ist ein Stück, das trotz seiner manchmal heiteren Momente im Kern tieftraurig ist. Wir lachen, und gleichzeitig wird uns der Ernst der Situation bewusst. Diese Mischung aus Komik und Tragik macht das Stück so bewegend und relevant.

Es ist erschütternd zu sehen, wie wir trotz des Wissens um vergangene Fehler und Gräueltaten weltweit wieder ähnliche Entwicklungen beobachten können. Das Stück erinnert uns daran, wachsam zu bleiben und für kulturelle Freiheit einzustehen.

Der Besuch in der Volksoper hat mich nicht nur künstlerisch bereichert, sondern auch zum Nachdenken über unsere Gegenwart angeregt. Ein Theatererlebnis, das lange nachwirkt und mehr als nur Unterhaltung bietet – genau das macht großartige Kunst aus.

Ensemble © Barbara Pálffy, Volksoper Wien
Ensemble © Barbara Pálffy, Volksoper Wien

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