Wer Angst vor Wörtern wie Gebärmutterschleim hat, wird beim Lesen dieses Buchs öfter zusammenzucken. Im Sammelband „bluten” machen 15 Frauen ihrer Wut, Trauer und Einsamkeit Raum und scheuen sich nicht vor sogenannten Tabuthemen. Bei einer Lesung im OKH Vöcklabruck erzählt Autorin und Herausgeberin Magdalena Stammler von der Notwendigkeit, dieses Buch zu schreiben.
Geteiltes Leid
Bluten, herausgegeben von Magdalena Stammler und Stefanie Jaksch im Haymon Verlag, versammelt Kurzgeschichten, die den Begriff auf verschiedene Weisen ausleuchten. Körperliches Bluten durch Menstruation, (Fehl-)Geburt oder Verletzung ebenso wie das metaphorische Ausbluten aufgrund von Care-Arbeit, Selbsthass, Armut. Sogar das Bluten eines geschädigten Planeten wird zum Thema. „Es ist nicht immer einfach, die Texte zu lesen”, so Herausgeberin und Autorin Magdalena Stammler im Gespräch.
Es ist manchmal ziemlich schwer und macht auch traurig. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, es kann auch Trost geben in dieser verbundenen Traurigkeit und diesem verbundenen Schmerz.
Boys don’t bleed…?
Auf den ersten Blick wirkt die Thematik konfrontativ, fast wie ein kämpferisches Manifest. Stammler ordnet das ein: „Wir hassen nicht Männer, wir hassen das Patriarchat”.
Patriarchat beschreibt die Strukturen, die Menschen, die keine Männer sind, bewusst unsichtbar machen, benachteiligen oder über sie bestimmen, sozial wie gesetzlich: Dass weibliche Körper in der Medizin untererforscht sind, dass Mütter stärker für die Erziehung verantwortlich sind, dass Abtreibung in vielen Ländern illegal ist oder sogar erneut verboten wird.
„Unbedingt sollten Männer das Buch lesen. Das macht ja nix, wenn man mal angeklagt wird in einem Text”, so Stammler. Insbesondere Cis-Männer (also Männer, denen bei Geburt das biologische Geschlecht männlich zugewiesen wurde), die (Cis-)Frauen lieben und mit ihnen leben, können von einer Auseinandersetzung mit diesen Themen profitieren. Auch, wenn sie nicht auf dieselbe Weise bluten.

Mut zur Wut
Stammlers eigener Text „Du blutest nicht” erzählt von einer Schwangerschaft, die aus einer einmaligen Affäre entsteht. Eine Überweisung für die Hälfte der Abtreibung, mehr kommt vom beteiligten Mann nicht. Die zuerst ungewollte Schwangerschaft endet in einer Fehlgeburt. Stammler führt Leser*innen durch die psychischen Zustände der Protagonistin und zeigt, wie sie dem Trauma mit Trotz entgegentritt.
„‚Du blutest nicht’ ist ein bisschen eine Anklage diesem Mann gegenüber, der mit ihrer zuerst ungewollten und dann doch gewünschten Schwangerschaft nix zu tun hat. Das ist einfach eine Lebensrealität, dass Männer sich aufgrund ihrer körperlichen Voraussetzungen ganz gut raushalten können. Frauen können das nicht, wenn es darum geht, was mit ihrem Körper passiert.”
Bluten zeigt alltägliche Kämpfe aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Sie alle sollen Verbindungen schaffen zwischen jenen, die bluten – gegen die Scham und die Einsamkeit von sogenannten „Frauenthemen”.
Wundern und Weltschmerz
Ein bisschen Leichtigkeit bringen Geschichten über das Mysterium Menstruation oder kindliche Verwirrung. Yasmin Hafedh, besser bekannt als Yasmo (und die Klangkantine), lässt ihre Protagonistin etwa mit Gemälden aus Menstruationsblut Geld verdienen. Margit Schreiner schreibt von Wunderpaste, die ein Papa angeblich in eine Mama spritzt, und dass daraus doch kein Kind entstehen könne. Ganz andere Wege schlägt „Der Wald” von Lisa-Viktoria Niederberger ein, in dem eine ganze Welt ausblutet.
Der Begriff „bluten” wird von körperlicher Erfahrung bis zu globalen Metaphern gespannt. „Wir wollten unsere Autorinnen nicht einschränken in dem, was sie mit dem Begriff verbinden”, so Stammler zur Entstehung des Buchs.
“Es war eine ganz bewusste Entscheidung, nicht zu sagen: ‘Ihr müsst über Menstruation oder den weiblichen Körper schreiben’. Wir wollten, dass die Assoziationen frei fließen können und literarische Stimmen aus unterschiedlichen Genres zusammenbringen.”
Wir bluten, und sie lassen uns
Im Kern geht es um die Weigerung, ständig „funktionieren zu müssen“, Trauma leise beiseite zu schieben und Erwartungshaltungen einfach hinzunehmen. Betroffene werden in diese Zustände hineingeworfen, ob sie wollen oder nicht.
Auf die Frage, wohin „bluten” den feministischen Diskurs lenken soll, reagiert Stammler lakonisch: Das Buch stehe nicht für Empörung, sondern sei eine Feststellung darüber, wie selbstverständlich viele Zustände hingenommen werden. Es sei als Beitrag zum Diskurs zu sehen, als Möglichkeit, sich zu unterhalten über Dinge, über die oft geschwiegen wird.
„Das Buch ist aus der Notwendigkeit entstanden, es zu schreiben.”


