Tango und Oper sind nicht unbedingt zwei Musikrichtungen, die ich gemeinsam im Kopf habe. Plötzlich sitze ich in der Kammeroper in der Tango Operita von Astor Piazzolla und genieße 90 Minuten voller Drama, Liebe, Tod und Hoffnung.
Ich habe mich riesig auf den Abend gefreut, vor allem weil ich keine Ahnung hatte, was auf mich zukommt. Deshalb kommt mein Fazit auch gleich zu Beginn, weil: I was blown away!
Worum geht’s?
María kommt als junges Mädchen von einem Vorort nach Buenos Aires. Sie wird eine Milonguita, eine Tangosängerin – und wird ermordet. Ihre Geschichte wird von ihrem Schatten und drei Männern erzählt. Wer war der Täter? Wie ist es geschehen? Was war Marías Geschichte? El Duende setzt alles daran, sie wieder auferstehen zu lassen. Nach 7 Tagen, an einem Sonntag, gebärt Marías Schatten ihre Reinkarnation – María wird zur Heiligen erklärt (und ja, es ist so weird wie es klingt).

Liebe, Tod, Wiedergeburt… und ein kleines Abenteuer.
María de Buenos Aires ist eine spannende (und irgendwie komische?) thematische Mischung aus der Jesus-Geschichte inklusive Wiedergeburt nach sieben statt drei Tagen. Außerdem wäre da noch das Thema von Sexarbeit und Femizid – alles verpackt in wunderschöne Tango-Musik, eine kleine aber feine Besetzung und ein spannendes, wenn auch simples Bühnenbild.
Kleiner Disclaimer: Zum ersten Mal in meinem Leben ist mir tatsächlich passiert, dass ich vor der falschen Location stand – nämlich vor dem Theater an der Wien auf der Wienzeile, statt vor der Kammeroper am Fleischmarkt. Dank Taxi hab ich’s noch hingeschafft – tbh es ist umso peinlicher, wenn einem das als Journalistin passiert… Nehmt mein Schicksal also als Reminder, immer doppelt zu schauen WOHIN ihr an dem Abend müsst! Danke an dieser Stelle an den unfassbar lieben Publikumsdienst und die Abendspielleitung, die mich und die acht anderen Personen, denen das gleiche passiert ist, noch eingeschleust haben.
Wenig Opernfeeling – im absolut positiven Sinn.
Irgendwie ist man es gewöhnt, dass alles, was in einem Opernhaus spielt, auch nach klassischer Oper klingt. Umso überraschter war ich bei der Tango Operita von Astor Piazzolla.
Diese Produktion in der Kammeroper zeigt: Es braucht nicht viel, um einen ganzen Saal in Spannung, Trauer oder Hoffnung zu versetzen. Tatsächlich braucht es ein schönes, simples Bühnenbild, drei Hauptdarsteller*Innen, eine Sängerin mit einer unfassbar starken Stimme, vier Tänzer*Innen und Statist*Innen, die dem Ganzen den letzten Schliff geben.
“Erst jetzt versteh ich voll die Verzweiflung,
die dich beim Stöhnen aufwühlt:
Du bist eine Raupe, die Schmetterling sein wollte
vor dem Sterben!”

Sexarbeit und Femizid, verpackt in schöne Musik mit Schleife.
Im ersten Moment wirkt es komisch, dass die Geschichte von María primär von zwei Männern erzählt wird. Ja, ab und zu meldet sich ihr Schatten zu Wort – und das auch nicht ohne Vollgas zu geben. Aber letztendlich zählen die Erzählungen der männlichen Kollegen. Wie passt hier also Feminismus, Sexarbeit, Femizid und zusammen?
Im Gegensatz zu anderen Opern, diskreditiert die Erzählung aus der männlichen Perspektive María nicht. Ihr, oder besser ihrem Schatten, wird genug Platz gegeben, um das Drama noch mehr zu betonen. Die Männer, speziell El Duende, sind emotional an María gebunden. Die Geschichte ist gespalten. Einerseits ist da die Suche nach Gerechtigkeit und dem Mörder von María. Andererseits rutscht die Erzählung ihres Todes und dem, was ihr voraussichtlich zusätzlich zum Mord wiederfahren ist, oft (bewusst) in eine sehr unangenehme Darstellung. Wunderschön gelöst, ohne zu konkret zu werden, aber trotzdem: Ungemütliche, unbequeme Bilder, wo es einem die Haare aufstellt.
Die Bühne sieht aus wie ein Gerichtssaal mit elegant vertäfelten Holzwänden. Die hintere Wand ist wandelbar, von einer durchsichtigen Trennung zwischen María’s Schatten und den Lebenden, bis zu einer Tür zu Marías Grab, umgeben von Leuchtstäben.
Das Team im Fokus: Juana Inés Cano Kestrepo (Inszenierung), Anna Schöttl (Bühne), Lena Weikhard (Kostüm), Franz Tscheck (Licht), Sabine Arthold (Choreografie), Christian Schröder (Dramaturgie)

Musikalische Meisterleistung & zu Recht komplett ausverkauft.
Luciana Mancini war das absolute Highlight des Abends. Das Theater an der Wien hat aktuell ein gutes Händchen – denn sie war auch Teil des Ensembles bei der “Balkanroute” von Christina Pluhar und l’Arpeggiata. Mancini überzeugte als María nicht nur durch ihre schauspielerische Leistung, sondern vor allem mit ihrer Stimme. Jedes Wort war voller Hoffnung, Trauer, Liebe und viel, viel Drama und sorgte nicht nur bei mir für Tränen in den Augen.
“Genau wie du träumte ich, genau wie du lebte ich,
ohne mein Ziel zu erreichen, Bandoneónseele.
Seele, die ich in mir rumschleppe,
Stimme des Unglücks und der Liebe!”
Jorge Espino (Payador) und Daniel Bonilla-Torres (El Duende) ergänzten den Abend perfekt. Es war, als hätten Mancini, Espino und Bonilla-Torres noch nie etwas anderes gesungen und wären schon immer zu dritt auf der Bühne gestanden. Bonilla-Torres’ Beschwörung auf María, das Versprechen, sie wieder auferstehen zu lassen, war einfach herzzerreißend schön und wohl eine meiner liebsten Momente

Tanz, Tango & Tränen
Die Tänzer*Innen Anna Bauer, Livia Ernst, Achim Himmelbauer, Anna Reeves begleiteten den Abend bravourös und brachten mit jedem Auftritt eine neue Ebene an Handlung und Emotion auf die Bühne.
90 Minuten lang sorgte das Trio folksmilch für großartige, emotionale Tangomusik. Christian Bakanic überzeugte virtuos am Akkordeon, Klemens Bittmann sorgte auf seiner Violine und Mandola für so viel Emotion, dass man nicht wegschauen konnte. Mit dem Kontrabass und der Percussion von Eddie Luis fiel das Stillsitzen schwer – und Andrés Añazco gab mir den Rest mit schnellen, beeindruckenden Fingern am Klavier.
TL;DR oder auch kurz zusammengefasst ein Fazit:
Ich habe geweint, geschmunzelt, zur Musik gewippt und über die Problematik des “zu früh erwachsen werdens” nachgedacht. Und ich war nicht die Einzige, denn dem ganzen Saal erging es ähnlich. Eine willkommene Abwechslung zum “normalen” Opernprogramm, zeitgemäß umgesetzt. Eine absolute Empfehlung, wenn es wieder mal am Spielplan stehen sollte und nicht ausverkauft ist. Bis dahin: Die Musik streamen und den Tango genießen!