Kaśka Brylas Roman „mein vater, der gulag, die krähe und ich“ sucht seinesgleichen. Selten ist ein Werk so zart, so poetisch und so liebenswert weird zugleich.
„Am schwierigsten ist es, das Dunkel und die Leere auszuhalten. Karl und ich haben uns ineinander verzahnt.“
Es ist 2020, Corona hat die Welt und den Körper der Protagonistin gänzlich im Griff. Die Schriftstellerin hat es schlimm erwischt. Monatelang plagt sie sich erst mit dem schweren Krankheitsverlauf und schließlich mit dessen Folgen auf einem Wagenplatz herum. Dabei droht sie sich immer wieder in den Aufnahmen der letzten Gespräche mit ihrem Vater sowie in der Aufzucht einer Krähe namens Karl zu verlieren.
Diese Aufnahmen und die inneren Gespräche mit ihrem Vater sind es allerdings auch, die ihr Kraft geben. So folgt man einer Ich-Erzählerin, die immer wieder in die eigene und fremde Dunkelheit ihres Vaters eintaucht und deren schier einzige Freundin die Einsamkeit ist.
Tiefgründig
Brylas Stil ist unverkennbar. Ihre Sätze sind kapitellang und werden weder von direkten Reden noch von Absätzen abgeteilt. Sie passen perfekt zu dieser Geschichte, die dadurch die gleiche Atemlosigkeit durchzieht wie ihre Protagonistin. Dabei schafft es die Autorin, nicht in die Belanglosigkeit abzudriften, indem sie stets in der Tiefe ihrer Erzählung bleibt.

Und die ist so divers wie die Idee der Geschichte an sich. So erzählt sie ergreifend über das Schicksal des Vaters, der im Zweiten Weltkrieg in verschiedene Gulags transportiert wurde und seinen anhaltenden polnischen Patriotismus. Die Protagonistin befindet sich im Zwiespalt zwischen Vater(land)liebe und deutlicher Abgrenzung. Sie durchlebt nicht nur die Trauer des Vaterverlustes erneut, sondern auch dessen Leiden ganz deutlich.
„Erinnerung folgt keiner Logik und nationale Identität ist immer eine Erzählung.“
Rabenvogelschwarz
Dieser Roman ist tragisch aktuell. Der Umgang mit Long-Covid, die eingeschränkten und unterdrückten Rechte von LGBTQ+-Personen, besonders in Polen, und die immense Vereinsamung vieler Menschen in den Jahren der Pandemie werden schmerzlich direkt erzählt.
Der einzige Lichtblick ist die große Liebe der Protagonistin zur Krähe, die eines Tages auf dem Wagenplatz auftaucht. Sie bricht sich im selbstgebastelten Käfig einen Flügel und wird von der Protagonistin aufgezogen. Die dabei entstehende intensive Bindung nimmt beinahe groteske Formen an, zeigt aber dadurch besonders präzise, wie groß die Einsamkeit ist.
„[…] ich sage, es gibt Tage, an denen ich aufwache und tot sein möchte, du schweigst, das war immer schon so, fahre ich fort, unabhängig von der Krankheit, du schweigst, dir kann ich es doch jetzt erzählen, du schweigst […]“
Einnehmend
Kaśka Bryla hat mit diesem Roman etwas Großes geschaffen, das von Seite Eins an begeistert. Allerdings ist die Geschichte an manchen Stellen etwas zäh und scheint in der Sommerhitze im Beton des Wagenplatzes festzustecken. Dies mag zum einen an den vielen Fakten liegen, die die Erzählungen des Vaters und die Recherche der Tochter kennzeichnen. Zum anderen womöglich daran, dass eben jene Erzählungen viel Polnisch enthalten, was den meisten deutschsprachigen Leser*innen nicht geläufig ist.
Dies tut der Geschichte jedoch keinen Abbruch. Die Wut, die insbesondere hinter den Schilderungen einer lesbischen Frau und ihrem Platz in der Gesellschaft steht, ist im letzten Teil des Romans deutlich spürbar.
Es ist eine wunderbare Trauerverarbeitung, ein wunderschönes Sich-Zurechtfinden mit den Klüften, die ein Leben aufwirft. Und das alles untermauert von der Liebenswürdigkeit einer kleinen schwarzen Krähe, dem dunklen Engel Karl. Wer diese Tiere vorher nicht mochte, wird sie nach diesem Buch mit Sicherheit lieben.
Kaśka Bryla, „mein vater, der gulag, die krähe und ich“. € 26,- / 256 Seiten. Residenz, Salzburg 2025


