Plötzlich geht das Licht an und die Gespräche des Publikums verstummen. Inmitten des Lichtstrahls steht Hauptdarsteller Ruben Grandits. Mit einer Mischung aus internationaler Gebärdensprache und poetischen Bewegungen nimmt er die Zuschauer*innen mit in eine Welt zwischen Leben und Tod.
Mit „The Rise – Der Klang der Geste“ von Eva Reiter und Michiel Vandevelde feierten die Musiktheatertage Wien 2025 ihre Eröffnung. Das Stück selbst soll verständlich für alle sein. Einerseits für diejenigen, die Schrift- oder Gebärdensprache brauchen, aber auch für Menschen, für die Lautsprache im Alltag selbstverständlich ist. Im Laufe des Stücks kommen immer Geräusche, Klänge und Töne hinzu. Sie sind die Übersetzung von Grandits Bewegungen. Lautsprache wird fast keine gebraucht. Vereinzelt kann man den Musiker*innen und Tänzer*innen Wörter und Sätze entnehmen. Und auch die hörbaren Informationen werden wieder zurück in Bewegungen übersetzt.

Zwischen Bühnengeschehen und Untertiteln
Zuerst verstehe ich die Tänze, Klänge und Bewegungen im Zusammenspiel nicht wirklich. Ich flüchte zu den Untertiteln. Doch sobald ich mich auf diese konzentriere, verpasse ich das Bühnen-Geschehen. Ich bin hin- und hergerissen.
Plötzlich kommen die Figuren Orpheus und Eurydike im Schrifttext vor. Vielleicht geht es um eine Sage aus der griechischen Mythologie? Dabei verzaubert Sopranistin Lore Binon mit ihrer Stimme und ich versinke darin. Sobald ich akzeptiert habe, dass es keine klassische Storyline gibt, lasse ich mich auf das Erlebnis ein. Auf die Instrumente, die für das Stück entwickelt wurden. Auf die Tänzer:innen, die leichtfüßig über die Bühne springen, sich über den Boden rollen und sich anmutig drehen. Auf die locker fallenden und luftigen Kostüme.
Komponistin Eva Reiter lehnt sich in ihrem Stück an die Poetik von Louise Glück und deren zentralen Themen Leben und Sterblichkeit an. Menschen, die Glücks Arbeit nicht kennen, könnte „The Rise“ etwas stutzig machen. Die Themen Leben, Tod und das Dazwischen werden abstrakt abgehandelt. Zuerst mag man gar nicht verstehen, was gerade auf der Bühne passiert. Dafür müsste man vielleicht auch wissen, womit sich Glücks Werk beschäftigt.
Knister*Wissen: Mit “Poetik” bezeichnet man die Lehre von der Dichtkunst. In diesem Fall also die Lehre der Kunst von Louise Glück.

Muss man Theater immer verstehen?
Am Schluss fühle ich mich etwas ahnungslos zurückgelassen. Ich habe nicht wirklich begriffen, was passiert ist. Doch muss man das immer? Sind wir uns ehrlich: Wäre das Stück in Lautsprache aufgeführt worden, dann hätte ich es wahrscheinlich ebenso wenig verstanden.
Immerhin durfte ich erleben, wie Theater inklusiv arbeiten können. Das Stück zeigte nicht nur die gestalterischen Möglichkeiten für Inklusion. Nein, es zeigt auch, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen gehörlosen und hörenden Personen war, damit ein solches Stück erst auf die Beine gestellt werden kann.
Würde ich es empfehlen? Auf jeden Fall. Aber nur, wenn man bereit ist, sich von einem typischen Erzählmuster zu verabschieden.
Bis 27. September können sich Musiktheater-Begeisterte noch die Musiktheatertage in Wien ansehen,