Eintritt frei, Glas Wein in der Hand, zeitgenössische Kunst – die Off-Space-Szene in Wien ist lebendig und zugänglich. Doch dieser Szene drohen massive Kürzungen, angetrieben durch den politischen Rechtsruck.
Text: Celeste-Sarah Ilkanaev
„Wir müssen uns als Gesellschaft fragen: Wie viel ist uns der freie Zugang zu Kunst wert?“, fragt Titania Seidl, Künstlerin und Kuratorin. In einem mit Farbflecken beklecksen Overall sitzt sie auf einem Schreibtischstuhl in ihrem Atelier. Seit fast zwanzig Jahren ist die Mitte 30-jährige Wienerin in der Kunstszene tätig. Mit ihrem Off-Scene-Ausstellungsraum MAUVE im 10. Bezirk Wiens zeigt sie seit über zehn Jahren Skulpturen, Gemälde, Installationen internationalen und zeitgenössischen Künstler*innen. Doch diese Szene, die so stark von öffentlichen Geldern abhängt, steht nun vor einer ungewissen Zukunft.
In Wien gibt es rund 90 bis 100 unabhängige Off-Space-Galerien – versteckt hinter unscheinbaren Fassaden, in ehemaligen Geschäftslokalen oder Hinterhöfen. Anders als kommerzielle Galerien, die auf Verkauf ausgerichtet sind, verfolgen sie keine primären Gewinnabsichten. Das ermöglicht es ihnen, experimenteller und unkonventioneller Kunst Raum zu bieten. Durch ihre Unabhängigkeit bereichern sie die kulturelle Vielfalt Wiens und fördern den Austausch der Künstler*innen untereinander. Doch infolge von Förderkürzungen könnte diese freie Kunstszene nun nach und nach verschwinden.
Wien: Was habt ihr vor?
Die kommende Wien-Wahl könnte eine Schicksalswahl sein. Von ihr hängt die Zukunft der freien Kunstszene, ja, die Existenzgrundlage von Künstler*innen wie Titania Seidl ab. Momentan sieht es düster aus: Die FPÖ soll sich laut aktuellen Prognosen verdreifachen – auf 22 Prozent. Damit hätte die Partei mehr Mandate in Bezirksvorstehungen und somit auch mehr Mitspracherecht in Kulturkommissionen. Aufatmen darf man in Wien noch: Die SPÖ bleibt in Wien mit 38 Prozent stimmenstärkste Partei.
Wenn die FPÖ ihre Pläne umsetzen könnte, dann würde sie den Kulturbereich in „Volkskultur“ und weniger wichtige „Kultur“ aufteilen, und das würde bedeuten: Förderkürzungen für Off-Space-Galerien, dafür mehr Geld für Blasmusik und heimische Chöre. Oder in Worten von der FPÖ: Weg von der „linken Kulturschickeria“ und „woken Events“ wie den Wiener Festwochen. Hin zur Erhaltung einer „christlich-abendländischen Identität“ und „traditionellen österreichischen Bräuchen“.
Ein Blick in die Steiermark zeigt, wie schnell sich solche Veränderungen umsetzen lassen. Dort gewann die Partei die letzte Landtagswahl 2024 mit knapp 35 Prozent. Innerhalb weniger Monate hat sie das Kulturkuratorium mit Vertretern extrem rechter Ideologien besetzt. Das Budget für Jahres- und Projektförderungen will sie jetzt um rund 40 Prozent kürzen. Betroffen sind laut IG Kultur Steiermark „kleine, gemeinnützige Kunst- und Kulturvereine“ – also eben zeitgenössische, experimentelle Kunst und alles, was mit Vielfalt und Diversität zu tun hat. Wird auch Wien diese Entwicklung erleben? Und was bedeutet das für Künstler*innen und Kurator*innen?
Erste Einschnitte spürbar
Wenn Titania Seidl auf die politische Lage zu sprechen kommt, greift sie sich ins Gesicht: „Wir hatten von Mitte Jänner bis zum nächsten Platzen der Koalitionsverhandlungen alle Bauchweh“, sagt sie. Bereits die letzte türkis-blaue Koalition auf Bundeseben machte sich sofort in der Szene bemerkbar: „Der Ton der Fördergeber*innen war auf einmal ein ganz anderer.“
Dabei musste der Off-Space schon in diesem Jahr Kürzungen hinnehmen: Ein Drittel des Förderbetrags entzog ihnen das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport. Und auch wenn die Stadt Wien einsprang: „Wir müssen schauen, wie wir uns dieses Jahr finanzieren“, sagt Seidl.
Künstler*innen fair zu bezahlen, ist ihr wichtig – wenn auch auf Kosten ihres eigenen Honorars.
Zwischen Kunst und Existenzangst
„Es gibt kaum Künstler*innen, die allein durch den Verkauf ihrer Kunst leben können”, sagt Seidl. Wie viele von ihnen lebt auch sie von Staatsförderungen, musste dazu lange Zeit Teilzeitjobs und Nebentätigkeiten nachgehen. Bis vor kurzem hat sie etwa an der Universität der angewandten Kunst gelehrt. Diese Anstellung hat sie nun gekündigt: Monatelang musste sie durcharbeiten. „Ich konnte nicht mehr. Ich habe ausgestellt, gelehrt und kuratiert. Es wurde mir alles zusammen zu viel.”
Möglich wurde das, weil sich ihre Bilder gut verkauften und sie ein Staatsstipendium erhielt. Seit einem Jahr lebt sie daher ausschließlich von ihrer Kunst. Was für ein Erfolg: Im Jänner zieht sie in ein neues Atelier, ein helles Dachgeschoss im dritten Bezirk. Auf den ersten Blick läuft alles gut.
Doch das ist nur eine Momentaufnahme.
Seidl bezeichnet Erfolg in der Kunstszene auch als „Glückssache“. Man muss das richtige Atelier finden, zum richtigen Zeitpunkt Werke verkaufen – und ist gleichzeitig abhängig von staatlichen Förderungen. Und die hängen wiederum von Wahlergebnissen ab.
Ein Leben als Künstler*in ist immer ein Leben in Abhängigkeit – auch wenn die Voraussetzungen früher deutlich besser waren: Als Seidl ihr Studium an der Universität der angewandten Kunst beendet hatte, bekam sie ein künstlerisches Arbeitsstipendium, das sie nach Japan führte. Viele ihrer Mitstudierenden wurden auch schnell nach einem Atelier fündig. Vor zehn Jahren noch wurde Wien von ihren internationalen Kunstfreunden aufgrund der Förderlandschaft als „luxuriös“ bezeichnet. Heute ist es anders: „Die Lebenskosten sind viel höher geworden, das Mieten von Ateliers fast unmöglich“, erklärt Seidl. Kommen zu diesen Bedingungen noch Kürzungen hinzu, ist die zwangsläufige Folge das Prekariat. „Ich finde das für ein Land, das immer von sich behauptet, es wäre eine Kulturnation, schon ein bisschen peinlich.“
Was diese „Kulturnation“ noch ausmacht, ist der niederschwellige Zugang zur Kunst. Seidl ist hierbei keine Ausnahme. Ihre ersten Berührungspunkte hatte sie in Wiens Museen. „Wien hat so viele Angebote für Eltern und Kinder.“ Wenn diese Strukturen wegbrechen, verschärft sich die soziale Ungleichheit noch weiter. Es stellt sich dann die Frage: Wer darf in Österreich Kunst konsumieren – und wer darf sie machen?
Wem gehört die Kunst?
Wenn es nach dem jetzigen Nationalratspräsidenten Walter Rosenkranz (FPÖ) gehen würde, früher Kultursprecher der Partei, dann sollten ausschließlich Österreicher*innen Zugang zur Kultur haben. Durch einen „Freien Eintritt für österreichische Familien in unsere Museen“ würde die „Fairness-Krise im Bereich Kultur“ geschlossen werden, sagte er 2017. Im aktuellen Wahlprogramm steht zwar nichts mehr von dieser Idee – diskret ist die FPÖ aber nicht: Die „heimische Kultur“ müsse gegenüber „anderen Kulturen“ geschützt werden. Kultur müsse Deutsch(sprachig) sein. Zukünftig sollen Kulturschaffende „kritisch unter die Lupe“ genommen werden, ob sie die „die richtige Gesinnung“ haben.
Titania Seidl ist zwar gebürtige Wienerin, ihre Kunst für die FPÖ vermutlich etwas zu „woke“. Denn sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels: Überflutungen und Brände. Aber auch mit der undokumentierten Geschichte von weiblichen Künstlerinnen, mit gesellschaftlichen Veränderungen, mit der Vergangenheit und Gegenwart. Seidls Kunst ist eine von vielen, die nicht ins FPÖ-Schema passt. Sie ist nicht allein. Unterschiedliche Initiativen, Künstler*innen und Organisationen erheben ihre Stimmen.
So haben etwa fast 1.000 Künstler*innen, Kulturschaffende und Einrichtungen aus ganz Österreich den Aufruf „Nicht mit der FPÖ! Kulturelle Vielfalt ist nicht verhandelbar“ unterzeichnet. Und auch in der Steiermark sammelte ein offener Brief mehr als 900 Unterschriften. Die klare Forderung: Es darf keine bevorzugte Unterstützung für einen Teilbereich der Kultur – etwa für Volkskultur – geben.
„Wir werden weitermachen“
Auch Titania Seidl lässt sich von der Politik nicht einschüchtern: „Trotz allem werden wir weitermachen“. Am 10. Mai findet die Ausstellungseröffnung von “MAUVE” in ihrem frisch bezogenen Atelier in der Landstraße im Ausstellungsraum statt. Sie hofft, dass zumindest ein Teil der wahlberechtigten Personen in Österreich Kunst und Kultur wertschätzen – „und nicht nur als etwas, das unfassbar viel Geld kostet und das man streichen kann“.
Infobox: Warum ist Kunst- und Kulturförderung wichtig?
Die österreichische Kunstszene ist auf Fördergelder angewiesen, weil Kunstproduktion und -präsentation oft mit hohen Kosten verbunden sind, die ohne externe Unterstützung schwer zu decken sind. Künstler:innen können in der Regel nicht sofort genug Geld durch den Verkauf ihrer Werke verdienen, um ihre Existenz zu sichern. Kunst ist oft ein langfristiger Prozess, bei dem es Jahre dauern kann, bis eine ausreichend große Zahl an Werken verkauft wird, um den Lebensunterhalt zu finanzieren.
Fördergelder sind besonders wichtig für unabhängige Kunstinitiativen und kleinere Galerien, die keine kommerziellen Interessen verfolgen, sondern eher den Austausch von Ideen und die Förderung von Innovation in der Kunstwelt anstreben. Diese Off-Space-Galerien und Kunsträume haben oft nicht die finanziellen Mittel, um große Ausstellungen zu veranstalten oder ihre Räume zu betreiben, ohne auf öffentliche Förderungen angewiesen zu sein.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Fördergelder es ermöglichen, Kunst einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Ohne diese Gelder müssten Eintrittspreise erhoben werden, was den Zugang zur Kunst für viele Menschen, insbesondere für jene mit geringem Einkommen, einschränken würde. Fördergelder tragen dazu bei, dass Veranstaltungen und Ausstellungen für alle offen bleiben und Kunst nicht nur denjenigen zugänglich ist, die es sich leisten können.