„Ehrlicherweise war ich etwas abgeschreckt von der Dauer der Operette. (…) That being said: Es war absolut worth it.”
3 ½ Stunden Operette ist, zugegeben, wirklich lang. Doch wenn diese Zeit gefüllt ist mit komplexen Liebesgeschichten, Intrigen, Plot-Twists und verrückten Kostümen, vergeht sie überraschend schnell. Das war Lotte de Beer’s „Le nozze di Figaro“ in der Volksoper Wien.
Von den Proben bis zur Vorstellung
Im April war ich, nach meinem Interview mit Lotte de Beer, zu Besuch in der Probebühne der Volksoper. Die Proben zu „Le nozze di Figaro“ waren schon vielversprechend – wobei ich mir schwer vorstellen konnte, was Lotte de Beer damals mit „hormongesteuerter junger Mann in einer Waschmaschine“ oder „überdimensionierte Penise auf der Bühne“ tatsächlich meinen könnte. Die Operette von W.A. Mozart ist doch etwas komplex mit allen Intrigen und die genaue Handlung hatte ich nicht im Kopf (auch wenn oft geglaubt wird, dass ich ein wanderndes Opernlexikon bin). Also bin ich, ohne mich einzulesen zur Vorstellung gegangen.
Ehrlicherweise war ich etwas abgeschreckt von der Dauer der Operette. Bei Opern von Richard Wagner bin ich vier Stunden mit zwei Pausen easy gewöhnt, bei Mozart eher nicht. So kamen mir die 3 ½ Stunden mit einer Pause extrem lang vor, vor allem für einen Arbeitstag mit wenig Schlaf. That being said: Es war absolut worth it.
Eine Zusammenfassung to go, bitte!
Gerade bei längeren, komplexeren Stücken, wo ich auf Untertitel angewiesen bin, finde ich es oft schwer, einen Überblick über die Handlung zu behalten. Wer war jetzt nochmal mit wem zusammen, und warum versteckt sich die Sängerin jetzt im Kleiderschrank? Ich war demnach ziemlich begeistert vom Start des Abends. Lotte de Beer (Regie) nutzt die Ouvertüre, um das Stück kurz und knapp zusammenzufassen – ohne, dass auch nur ein Wort gesungen wird. Noch vor geschlossenem Vorhang laufen die Darsteller*Innen von links nach rechts über die Bühne und stellen pantomimisch den Ablauf dar.
Worum geht’s?
Susanna und Figaro wollen heiraten. Der Graf Almaviva steht auf Susanna und will sie ins Bett kriegen. Die Gräfin will was von Cherubino, der wiederum in Barbarina verliebt ist. Figaro hat sich von Marcellina Geld geliehen, die nun auf eine Heirat besteht um die Schulden zu begleichen, der Arzt Bartolo hilft ihr bei dem Vorhaben. Doch dann, Plot Twist: Marcellina und Bartolo sind die Eltern von Figaro, die Hochzeit zwischen ihm und Susanna findet statt. Cherubino und Barbarina kommen zusammen und gemeinsam blamieren sie den Grafen so sehr, dass er sich bei seiner Frau, der Gräfin, entschuldigt. Happy End.
Abgesehen davon, dass es die Stimmung im Saal sehr auflockert, war es eine perfekte Zusammenfassung der Operette. Wer mit wem und warum, und das Ganze auch noch in übertriebenen Kostümen.

Vier Perspektiven, vier Ansichten, eine Zeitreise.
Oft heißt es, die Handlung in Oper(etten) seien nicht mehr zeitgemäß. Sie sind voller Sexismus, Rassismus oder auch einfach schlecht gealtert. „Le nozze di Figaro“ ist hier keine Ausnahme. Allerdings ist recht leicht verständlich, mit wie viel Gesellschaftskritik und Sarkasmus Mozart diese Operette verfasst hat. Die Männer sind absolut planlos und oft unbrauchbar, wenn es ernst wird. Es werden soziale Strukturen kritisiert, Machtverhältnisse kritisch betrachtet und, wie wir es heute nennen würden, das „Alpha-Male“-Getue lächerlich gemacht.

Denn in den 3 ½ Stunden sehen wir die Handlung immer aus der Perspektive einer anderen Person, (teils nicht vorhandene) moralische Standards inklusive. Der Graf steckt in seiner veralteten Sitcom fest, wo es „lustig“ ist, den Frauen in seinem Umfeld unangenehm zu nah zu kommen. Währenddessen holt uns die Gräfin in die Jetzt-Zeit, mit einem sehr cleanen, fast schon sterilen, schwarz-weißen Bühnenbild. Dazwischen ist alles da, von den 90ies bis zur Renaissance (oder dem, was man sich darunter vorstellt).
Der Plan geht auf: Vor jedem Perspektiven-Wechsel zeigen die Charaktere selbst klar auf, aus wessen Sicht die nächsten Szenen nun gezeigt werden. Es gibt keinen Platz für Verwirrung oder Interpretation. Simpel, verständlich, abwechslungsreich und mit bewundernswerter Qualität, sei es darstellerisch oder in Sachen Bühne und Kostüm.
Borat-Anzug, Penis-Kostüme und Elektroschocks
Kennt ihr diese Momente, wenn ihr mit euren Eltern einen Film schaut und plötzlich kommt eine Nackt-Szene? Die unangenehme Stille, die sich plötzlich breit macht? In der Volksoper war diese Stille angenehm durchbrochen durch (auch mein eigenes) lautes Lachen. Denn plötzlich sind zwei (oder waren es doch drei?) Personen im überdimensionierten Penis-Kostüm auf der Bühne und jagen Susanna nach. Im Hintergrund läuft jemand im Borat-Onesie herum. Und plötzlich sind da zwei riesige (!) Puppenköpfe auf der Bühne. Es macht wenig Sinn, außer dass es einfach hineinpasst.
Die Operette an sich ist sehr gesellschaftskritisch. Die Inszenierung zeigt und kritisiert die Themen Sexismus und Machtmissbrauch jedoch mit einem Augenzwinkern und viel Humor. Es sorgt für genug Stoff zum Nachdenken, ohne dass es „in your face“ ist – eigentlich perfekt, um die Diskussionen zu diesen Themen mit den (Groß-)Eltern endlich beiseitezuschaffen.

Mozart hätte es absolut gefeiert!
In der Klassik wird unser junges Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart oft viel zu ernst genommen. Dabei war er ein absoluter Popstar in seiner Zeit. In der Inszenierung von Lotte de Beer wäre er wahrscheinlich selbst als Penis verkleidet herumgelaufen. For the fun of it, you know?
Die Arbeit von Rae Smith (Bühne) und Co-Designer William Fricker sowie das Lichtdesign von Alex Broksind besonders hervorzuheben. Es braucht viel Vorarbeit, Know-How, Kreativität und auch einfach Spaß, um eine Komödie auf die Bühne zu bringen die sich anfühlt, als würden wir sie am Röhrenfernseher unserer Großeltern schauen. Am meisten umgehauen haben mich jedoch die Kostüme von Jorine van Beek. Vom sehr minimalistischen, klassischen Anzug bis zu bunten, glitzernden Kleidern bedeckt mit Nippeln aus Pailletten und bunten Penisen war alles dabei. Jede Szene sorgte für neue Überraschungen, jeder Umbau und Umzug für Staunen.
Absolute Empfehlung & künstlerische Meisterleistung.
Aber nicht nur Bühne und Kostüm überzeugten an dem Abend, sondern auch das gesamte Ensemble. Schauspielerisch unfassbar gelungen, wenige schwachen Stellen und die Darsteller*innen hatten sichtlich Spaß an ihrem Auftritt! Das Orchester der Volksoper Wien unter der Leitung von Omer Meir Wellber hat für gute Balance und Vibes gesorgt. An manchen wenigen Stellen vielleicht etwas zu laut, aber das sei verziehen, denn das Tempo und die Stimmung war genau richtig.
Theresa Dax (Susanna) und Pablo Santa Cruz (Figaro) sind großartige Hauptrollen. Sie ergänzen sich gut auf der Bühne und halten den Abend durch die Spannung oben. Daniel Schmutzhard ging in seiner Rolle als Graf Almaviva auf und spielte überzeugend mit dem, vor allem anfangs noch sehr scheuem Publikum. Julia Koci ist für jeden Spaß zu haben, ihre schauspielerische Leistung und Mimik als Cherubino ist next Level. Gesanglich gab es ein paar „schwächere“ Stellen am Anfang beziehungsweise Passagen, wo man sie nicht so gut gehört hat – aber das hat sich schnell eingerenkt. Nicht jede*r kann in Waschmaschinen klettern, quer über die Bühne laufen oder mit einem Fake-Ständer in der Länge eines Baguettes herumlaufen, ohne auch nur einmal außer Atem zu sein.
Ursula Pfitzner (Marcellina) und Alexander Fritze (Bartolo) sind das Perfekte Paar, gesanglich wie schauspielerisch. Und auch Jaye Simmons (Barbarina), Carsten Süss (Basilio/Don Curzio) und Smelo Mahlangu (Antonio) überzeugen stimmlich mit einer stablien Performance. Favoritin des Abends war Matilda Sterby als Gräfin Almaviva, mit vielen Bravo-Rufen und tobendem Applaus. In ihrem Solo zeigt Sterby, was ihre Stimme hergibt, und packt den ganzen Saal mit ihrer Emotion.
