Die Kabarettistin schlägt eine Brücke zwischen heutiger 24-Stunden-Betreuung und bäuerlicher Ausbeutung im 20. Jahrhundert.
Erika hat es nicht leicht. Denn bei Christine Teichmanns Bühnenfigur läutet ständig das Handy. In ihrem neuen Kabarettprogramm „UNTERHALTUNG – ein Sozialdebattl“ muss sie nämlich eine 24-Stunden-Betreuerin für ihre Oma organisieren und parallel zwei Wohnungen für kaufkräftige Kundinnen fertig bekommen. Und das an einem Freitagnachmittag.
„Vlada, rauchen Sie?“ – „Ja, Frau Doktor! Natürlich haben wir das bis Donnerstag fertig. Ah, bis Montag?! Aber sicher doch, Frau Doktor! Das kriegen wir hin, Frau Doktor!“ – „Das Internet nehme ich mit, aber Sie werden eh nicht viel Zeit zum Surfen und Streamen haben.“ – „Branko, hast du den Parkettboden schon verlegt?“
Dazwischen leert Erika eine Flasche Hochprozentigen und erzählt den zum Casting erschienenen Betreuungskräften die Lebensgeschichte der mittlerweile 104-jährigen Großmutter.
Ausbeutung einst und heute
Das stolze Alter ist notwendig, damit sich die zeitliche Chronologie ausgeht. Die beginnt 1921 und fokussiert sich vor allem auf die 1930er und 1940er Jahre. Da musste die Oma als Magd und ledige Jungmutter auf einem Landwirtschaftsbetrieb schuften. So wie schon ihre Mutter, die Oma war nämlich selbst das uneheliche Kind einer Magd. Teichmann zeichnet ein sehr plastisches Bild vom bäuerlichen Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in dem die Ausbeutung des Gesindes, also der eher schlecht bezahlten Knechte und Mägde auf dem Hof, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war.
Es fällt ihr dabei nicht schwer, die Brücke zur heutigen Altenversorgung mit 24-Stunden-Betreuer*innen aus dem Ausland und pflegenden Angehörigen zu schlagen. Und durch das ständig läutende Handy kommt dann auch noch die heimische Bau(schatten)wirtschaft mit billigen Arbeitskräften aus dem Ausland und Lohndumping ins Spiel. Der Untertitel „Ein Sozialdebattl“ kommt nicht von ungefähr.

Pointen zum Mitdenken
Zwei Stunden (mit Pause) sitzt das Publikum da, gefesselt von der realen Lebensgeschichte, die Teichmann hier mit fiktiven Figuren zu einem Bühnenstück verwebt. Ihr Humor ist fein austariert, sie verzichtet auf Schenkelklopfer-Gags und bringt lieber Pointen zum Mitdenken: Nach einem kurzen Auflachen stellt man nämlich fest, dass es eigentlich gar nicht so lustig ist. Ihren eigenen Anspruch, gesellschaftskritisches Kabarett auf die Bühne zu bringen, erfüllt voll und ganz. Wie schon in ihrem vergangenen Programm „links rechts Menschenrecht“ beeindruckt Teichmann durch intellektuelle, gesellschaftskritische, entlarvende Satire. „UNTERHALTUNG“ ist Wirtschafts-, Sozial- und Geschichtsstunde in einem – und wird dem Wortspiel im Titel trotzdem vollkommen gerecht.
Christine Teichmann (Jahrgang 1964) steht erst seit knapp zehn Jahren auf der Kleinkunstbühne, hat aber schon mehrere Preise gewonnen – unter anderem die Kabarett Talenteshow, Freistätter Frischling, Reinheimer Satirelöwin und den Dresdner Satirepreis. Alle Termine & Infos gibt es hier.