„Das Schwarz an den Händen meines Vaters“ ist ein unaufgeregter Roman über das Leben als Kind eines alkoholkranken Vaters. Lena Schättes Figuren sind dabei beinahe unheimlich menschlich und nah.
„Nur wer wochentags trinkt, ist süchtig.“
Ihr Leben ist durchwachsen: Motte, so nennt sie ihr Vater, und ihre Familie werden nicht nur wohnlich aus ihrem Haus im Zentrum des Dorfes an eine Autobahnraststätte gedrängt, sondern auch an den Rand der Gesellschaft. Die „einfachen Verhältnisse“, in denen sie leben, sind dem Trinken und Spielen des Vaters geschuldet. Dennoch hält man hier zusammen, wenn es darauf ankommt.
Während der Bruder all das neutral und beinahe abgeklärt aufnimmt, steckt die Ich-Erzählerin zwischen Liebe und Abneigung für ihren Vater fest. Dabei springt der Roman zwischen Vergangenheit und Gegenwart und zeichnet so ein dichtes Bild einer Frau, die sich schon als Mädchen zwischen Alkohol und Nüchternheit wiederfindet.
Zärtlich fesselnd
Lena Schättes Stil fesselt ab Satz Eins. Sanft und dennoch eindringlich erzählt sie vom Leben abseits der sogenannten “Norm”. An den richtigen Stellen gesetzte, ungeahnt poetische Sätze gehen mitten ins Herz. Dabei weiß sie, wie sie der Tragik der Geschichte eine Prise Humor beifügen kann, sodass sich der Text wie im Rausch lesen lässt.

Schätte schafft es, weibliche Resilienz zwischen den Zeilen festzunageln und trifft mitten ins Schwarze. Die Frauen dieses Romans vollbringen pausenlos einen Kraftakt nach dem anderen. Ganz so, als gäbe es dazu reale Vorlagen.
„Ein paar Kindergeburtstage in fremden Häusern und ich beginne zu verstehen, dass andere Familien anders sind als meine. Dass fremde Väter die Probleme nach draußen tragen, doch meiner trägt sie rein.“
Unheimlich nah
Man könnte denken, als Kind eines alkoholkranken Vaters hätte die Ich-Erzählerin ihm gegenüber starke negative Gefühle und sei der Droge Alkohol grundsätzlich abgeneigt. Dass „Motte“ dem Alkohol selbst immer wieder maßlos verfällt, überrascht sehr. Ebenso die Zärtlichkeit, mit der sie über den Vater spricht. Diese Ambivalenz kann Lena Schätte hervorragend umsetzen. Ihre scharfe Beobachtung ist das, was diesen Roman so stark macht. Die Figuren befinden sich fernab der klassischen “Gut und Böse”-Skala. Das macht sie nahbar und menschlich. Leser*innen können so einen neuen Blickwinkel einnehmen – auf die Alkohol- und Spielsucht, die von oben herab betrachtete „Unterschicht“ und den eigenen Umgang mit Konflikten. Denn selbst der Vater kommt im Text nicht gänzlich schlecht weg. Er wirkt liebevoll und im Umgang mit der Tochter reuevoll, so als wäre er nur eine Marionette seiner Sucht.
Lena Schätte ist mit „Das Schwarz an den Händen meines Vaters“ ein unter die Haut gehender, wichtiger Roman gelungen, der zurecht auf der Longlist des deutschen Buchpreises stand. Ihre sanfte Betrachtungsweise bleibt niemals nur an der Oberfläche und lädt zum Nachdenken ein. Gänsehaut pur.
Lena Schätte, „Das Schwarz an den Händen meines Vaters“. € 24,- / 192 Seiten. S. Fischer, Frankfurt am Main 2025.


