Wer glaubt, “Die Fledermaus” von Johann Strauss und Richard Genée zu kennen, der*die sollte sich besser nicht zu sicher sein.
Denn was Regisseur Stefan Herheim am Theater an der Wien auf die Bühne bringt, ist alles andere als die klassische Version der Verwechslungskomödie. Schon der Anfang ist ein Statement: Es wird Beethovens’ Fidelio gespielt und das Bühnenbild sieht aus wie das Theater selbst. Mit dem einzigen Unterschied, dass die Logen wie Gefängniszellen aussehen.
Auch Kaiser Franz Josef persönlich, alias der Gefängniswärter Frosch, stolpert durch den Saal, spricht mit dem Publikum, lacht, pöbelt – plötzlich ist man mittendrin, statt nur Zuschauer*in. Geht es nach der klassischen Version, sollte das eigentlich nicht unbedingt so passieren. Aber hier wird nicht wiederholt, was man schon gesehen hat. Hier wird zerlegt und neu zusammengesetzt.
Worum geht’s:
Der vermögende Gabriel von Eisenstein soll eigentlich ins Gefängnis, doch sein Freund Dr. Falke überredet ihn, stattdessen auf einen Maskenball des Prinzen Orlofsky zu gehen. Eisenstein besucht den Maskenball und erzählt seiner Frau Rosalinde nichts davon. Rosalinde hat eine Affäre mit Alfred – dann taucht der Gefängnisdirektor Frank auf, um Eisenstein ins Gefängnis zu bringen. Alfred wird verhaftet, um die Affäre geheim zu halten. Auf dem Ball trifft der echte Eisenstein auf seine Frau und deren Kammermädchen – verkleidet als ungarische Gräfin und Schauspielerin. Am nächsten morgen fliegt das ganze Spiel auf: Rosalinde stellt Eisenstein zur Rede, nachdem er der “Gräfin” eine Uhr geschenkt hat. Und eigentlich war das alles ein Rache-Plan von Dr. Falke, der sich für einen Schmäh bei Eisenstein revanchieren wollte…

Ein besoffener Kaiser und Nazis in Lack
Die Idee, den Frosch als Kaiser Franz Josef zu inszenieren, ist interessant und irritierend zugleich. Im Original ist der Frosch (Alexander Strobele) nämlich ein leicht versoffener, etwas trotteliger Gefängniswärter. Er sorgt am Ende des Stücks mit Wiener Schmäh für Lacher, wenn die Maskerade aufgeflogen ist. In diesem Stück wird er aber zu einer Art Leitfigur gemacht (immer noch betrunken), die nicht nur im dritten Akt vorkommt. Zu Beginn und auch zwischendurch lockert Frosch die Stimmung mit satirischen Kommentaren über politische Themen auf. Der Frosch ist die einzige reine Sprechrolle in “Die Fledermaus”.
Auch Dr. Falke (Leon Košavić) wird in dieser Version anders inszeniert. Er sieht nicht nur wie ein Nazi-General aus sondern hat ebenfalls die typisch harte Sprechweise drauf. Falke ist jedoch nicht der einzige Nazi: Da gibt es noch SA-Männer und die Tänzer am Ball – die Schanis mit Geigen. Letztere entkleiden sich kurz vor der Pause und stehen plötzlich in einem Nazi-Lack-Kostüm da. Das ganze ist dahingehend eher verwirrend, denn nach der Pause sind wieder die ganz normalen Schanis auf der Bühne zu sehen.
Die Eisensteins werden als jüdischer Haushalt dargestellt, was durch einige Anspielungen angedeutet wird. Beispielsweise serviert Adele (Alina Wunderlin), das Kammermädchen, Frau Eisenstein einen Schweinekopf. Das Stück spielt im Jahr 1938, wobei auch zwischendurch ein Zeitsprung in das Jahr 2025 stattgefunden hat. Auf diese Weise wird die politische Dimension nachvollziehbar – beim Frosch als Kaiser bleibt sie für mich hingegen eher unklar.
Knister*Wissen: Das Verhältnis von Strauss und Kaiser Franz Josef war nicht besonders gut, denn Strauss hatte sich gegen die Monarchie gestellt. Erst, als er dem Kaiser einige Musikstücke widmete, wurde er zum Hofball-Musikdirektor ernannt.

Die verdrehte und sich drehende Fledermaus
Adele, die in dieser Version weniger eine Nebenfigur ist, wird als eine selbstbewusste Frau präsentiert. Ihre Arie ist überzeugend und frech und die Zankereien mit ihrer Schwester Ida (Ines Hengl-Pirker) unterhielten mich sehr. Hulkar Sabirova und Thomas Blondelle als Rosalinde (Sopran) und Gabriel von Eisenstein (Bariton) lieferten ebenfalls ab – musikalisch wie schauspielerisch voller Energie. David Fischer als Alfred sorgt als dritter in dieser Konstellation für humorvolle Flirts mit Rosalinde und dem Publikum: Alfred als Tenor macht das stimmlich noch eindrucksvoller. Besonders interessant wurde es vor allem, als Rosalinde und Alfred andere Opernstücke wie Richard Wagners Tristan und Isolde oder Giuseppe Verdis La Traviata musikalisch inszenierten.
Dass es musikalische Abweichungen gibt, war von Anfang an klar – schließlich startet der erste Akt mit Beethoven anstelle der Ouvertüre von Strauss. Ob man das mag oder nicht, ist Geschmackssache. Ich fand es spannend, wie Referenzen zu anderen Klassikern integriert werden, die auch Opern-Neulinge erkennen könnten. Andererseits könnte es irritierend sein, wenn man die “klassische” Fledermaus nicht kennt, weil diese Inszenierung viele neue Elemente hat – vielleicht in manchen Szenen zu viele.
Knister*Wissen: Die Fledermaus wurde am 05. April 1874 im Theater an der Wien unter der musikalischen Leitung von Johann Strauss uraufgeführt

Harmonie auf der Bühne
Aber nicht nur die Hauptfiguren haben abgeliefert, auch der Gefängnisdirektor Frank (Krešimir Stražanac) und der Prinz Orlofsky (Jana Kurucová) sind gute Stimmungsmacher. Der Prinz steht in einer Szene auch Wein trinkend in einer Loge und bindet das Publikum direkt in das Bühnengeschehen ein. Dr. Blind (Alexander Kaimbacher), Eisensteins Anwalt und am Ende ebenfalls als Nazi kostümiert, setzt mit seinem Stottern und seiner Unbeholfenheit zusätzlich witzige Akzente.
Die Wiener Symphoniker mit Dirigent Petr Popelka spielen präzise, dynamisch und mitreißend. Das Orchester schafft damit eine Bühne für Sänger*innen und Chor, auf der alles harmoniert. Der Arnold Schoenberg Chor ergänzt sowohl das Ensemble musikalisch als auch szenisch und bringt viel Spielfreude auf die Bühne. Das Bühnenbild (Stefan Herheim und Vanessa Pressl) besteht aus einer großen drehbaren Scheibe, auf der die Loge des Theaters an der Wien – auch als Gefängniszellen auf der anderen Seite der Drehscheibe – zu sehen sind. Durch die Drehscheibe sind fließende Wechsel zwischen den Szenen möglich, was bei dem langen Stück hilft, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Fazit
Stefan Herheim zeigt mit dieser Fledermaus eine cool adaptierte Version, die klassische Erwartungen auf den Kopf stellt. Die Inszenierung ist voller überraschender Elemente, musikalischer Zitate und visueller Spielereien, die teilweise großartig unterhalten – und manchmal auch leicht irritieren können. Die Hauptfiguren und das Ensemble überzeugen mit Freude, Stimme und Präzision.
Trotz aller Kreativität zieht sich der dritte Akt in die Länge. Er ist vergleichsweise unspektakulär, obwohl er eigentlich den Höhepunkt des Stücks darstellen sollte. Denn hier fliegt das ganze Spiel von Dr. Falke auf. Wer sich aber auf die Inszenierung einlässt, hat ein Theatererlebnis, das sowohl zum Schmunzeln als auch zum Nachdenken einlädt. Und das zeigt, dass eine Operette ganz neu gedacht werden kann.


