“Der Mensch ist vielleicht eine Krankheit. Der Begriff Natur gehört abgeschafft. Und Kunst kann oft das, was Wörter nicht können.” – Julius von Bismarck
Der Künstler Julius von Bismarck (*1983) lebt in Berlin und ist einer der wichtigsten Künstler unserer Zeit. Seine Ausstellung “Normale Katastrophe” im Kunsthaus Wien läuft noch bis zum 08. März 2026 und erforscht die menschliche Wahrnehmung und unser Verhältnis zu dem, was wir „Natur“ nennen. Die Kuratorin Sophie Haslinger beschreibt sein Werk als “vielfältig und bildgewaltig, es schafft sinnliche Erfahrungsräume in einer Welt, in der Naturkatastrophen und Wetterextreme zunehmend Teil unserer Lebensrealität werden.”
Warum Kunst und Naturkatastrophen?
Vor etwa 1,7 Millionen Jahren konnten unsere Vorfahren erstmals Feuer nutzen. Seitdem hat der Mensch die Umwelt stark verändert. Zwischen Autobahnen und unter Flugschneisen expandieren Städte und gentechnisch veränderte Monokulturen. Heute treibt die Verbrennung fossiler Energiestoffe die globale Erwärmung an und mehr denn je gerät das Feuer außer Kontrolle. Ob letztes Jahr in Südamerika, Kalifornien oder Spanien: Die Waldbrände nehmen weltweit zu.
“Das Problem der Klimakrise haben wir meiner Meinung nach aufgrund einer falschen Naturvorstellung erzeugt, die wir selbst – auch visuell – aufgebaut haben. Deswegen, denke ich, muss sie auch visuell wieder eingerissen werden, um Platz zu machen für ein neues Naturbild, was auch wieder falsch, dafür aber ein Update sein wird, was uns vielleicht ermöglicht, anders zu handeln. Auch das muss dann wieder eingerissen werden.” – Julius von Bismarck
Der Künstler Julius von Bismarck war bei den Bränden in Los Angeles dabei, um in Erfahrung zu bringen, was Naturkatastrophen wie Waldbrände für uns bedeuten. Bismarck möchte nicht nur kommentieren, was andere vor ihm aufgebaut haben. Um relevante Kunst machen zu können, ist es ihm wichtig, die Orte zu besuchen. Nur so lassen sich Klischees überwinden.

Die Faszination Feuer
“Ich wollte heraufbeschwören, welche Ängste und Hoffnungen wir eigentlich haben, wenn wir ins Feuer gucken. Es zieht uns an, sogar die Feuerwehrleute starren in das Feuer, das sie löschen.”
In den brennenden Wäldern hat Bismarck “erst viel geguckt, gelernt und gefühlt”. Erst mit der Zeit entstand der Werkkomplex “Fire with Fire”. Das Herzstück ist eine große Videoarbeit, durch die der Betrachtende in eine mythische, hypnotisierende, vom Feuer verformte Landschaft hineingezogen wird, die vor allem eins ist: verstörend schön. Das Feuer löste für Bismarck vieles aus.
„Wenn ich ins Feuer gucke, fange ich an zu träumen. Es gibt mir eine gewisse Ruhe. Es fällt einfacher, sich gewisse Sachen vorzustellen, man fühlt sich verbundener zu gewissen Dingen, zu denen man sonst nicht so einfach Zugang findet. Die meisten Waldbrände brennen sehr langsam. Ich habe sie als eine Art Jahreszeit kennengelernt und so versuche ich sie auch zu zeigen.”

Zwischen Naturbeherrschung und Kontrollverlust
In der Ausstellung sind auch selbst entwickelte Raketen zu sehen, die Blitze triggern können. Die Geschichte dahinter klingt wie ein Klischee. Er wurde in einem Auto von einem Blitz getroffen, während er schlief. Er stand unter Schock. Um ihn herum brannte es. Er, der Blitze schon immer liebte, war plötzlich überwältigt. Um ihnen noch näher zu kommen, entwickelte er Blitzraketen, mit denen es ihm erstmals in einem Fischerdorf in Venezuela gelang, Blitze zu fangen und zu Boden zu leiten. Aber das war nicht die einzige Motivation:
“Ich fand es sehr interessant zu schauen, was passiert, wenn der Mensch den Blitz, eins der letzten unkontrollierten Naturphänomene, begradigt. Auch wenn es nur eine reine symbolische Sache ist: Wie verändert sich unsere Beziehung dazu?”
Bismarck hat es übrigens nicht geschafft, Blitze wirklich zu kontrollieren. Er entwickelte eine zweite Serie von Raketen, die in der Ausstellung zu sehen ist. Die nächste Blitzfang-Tour steht noch aus. Aber wie funktioniert das eigentlich? Die Blitzraketen stellen eine leitende Verbindung zwischen Himmel und Erde her. Der Blitz muss durch die Rakete nur noch eine kleinere Distanz zum Boden überwinden.
“Eine Einladung, die er gerne annimmt. Der Blitz wird sozusagen geangelt.” – Julius von Bismarck

Für die Recherche fuhr Bismarck nach Kolumbien, um die Bedeutung von Blitzeinschlägen kulturell besser zu verstehen. Dort wollte er sich mit dem Schamanen der Wiwa treffen, der ein jährliches Schamanentreffen überlebt hatte, bei dem ein Blitz einschlug und viele Anwesende tötete. Die Kommunikation mit dem abgelegenen Volk war schwierig: Nur alle zwei Monate ging jemand ins nächste Dorf, um sich in einem Internetcafé bei Facebook einzuloggen.
Nach Verhandlungen – bezahlt wurde mit Stoff, Fisch, Fleisch, Gemüse und Gewürzen und einem Lehrgang, wie man sich vor Blitzen schützen konnte – durfte Bismarck den Schamanen treffen. Von ihm erfuhr er den Grund für die Katastrophe: Für die Wiwa ist der Blitz keine Gottheit, sondern eine Person. Der Schamane hatte sich mit ihr gestritten, sie waren „sauer aufeinander“. Gefangen haben sie die Blitze schließlich woanders, in einem Fischerdorf ohne aktiven schamanischen Glauben, auch wenn Bismarck meinte, „der Schamane hätte es begrüßt, dem Blitz seine Meinung sagen zu können.“

Die Bestrafung der Natur
Bismarcks Kunst irritiert und provoziert zugleich. In der Punishment-Serie peitschte er Naturmonumente aus, wie den Atlantik. Aber auch die Alpen, weil sie “so identitätsstiftend für die Schweiz sind. Was in Österreich sicherlich auch funktionieren würde.” Für Bismarck war die größte Herausforderung seine eigene “Verfasstheit”.
“Ich habe gemerkt, dass ich nicht so tun kann, als ob ich einen Berg oder das Meer bestrafe, ich muss es schon wirklich bestrafen wollen. Das heißt, ich musste mich psychologisch irgendwie in eine Lage bringen, in der ich Hass entwickle. Und das war beim Meer tatsächlich einfacher, weil es mehr zurückgeschlagen hat. Die Wellen haben mir die Füße weggerissen: Ich musste aktiv dagegen kämpfen. Es war eine richtige Schlägerei. Ich habe mich da völlig verausgabt.”

Die Akteurin “Natur”
Was ist so spannend an Naturkatastrophen? Für Bismarck ist es der interessante Shift, der da passiert. Geläufiger sind nach ihm Denkweisen wie die, dass die Natur vor dem Menschen beschützt werden müsse. Oder dass die Natur das, was wir mit ihr machen, schon übersteht. In der Naturkatastrophe werden diese Ansichten von Natur auf die Probe gestellt.
“Plötzlich kann der Mensch nur noch reagieren und das, was wir Natur nennen, agiert. Den Waldbrand, den Sturm, den Blitz können wir nicht kontrollieren.”
In der Naturkatastrophe zeigt sich auch das, was wir über Natur denken. “Wir fühlen auch ganz anders, das Zusammensein ist ein anderes, weil man sich gegenseitig hilft. Wir fühlen menschlicher als sonst.” Bismarcks Verhältnis zur Umwelt hat sich durch die Beschäftigung mit Naturkatastrophen stark verändert. Sein Fazit:
“Der Planet hat schon oft gezeigt, dass er sich selbst regulieren kann. Momentan prüfen wir seine Fähigkeit auf eine sehr extreme Art und Weise und keiner weiß, was das Ergebnis davon ist. Aber Naturkatastrophen gehören zur Selbstregulierung dazu.„


