Trocken – Daniel Wagner ** Das Monster schläft nie

In „Trocken“ schreibt Daniel Wagner eindrucksvoll über sein Leben mit Suchterkrankung und den Umgang mit Alkohol in der österreichischen Gesellschaft.

 „Land der Weinberge, Land der Bierströme. Oh, du dichtes Österreich.“

Drogen zu nehmen ist eine ganz schlimme Sache. Darauf können sich beinahe alle einigen. Wir verteufeln Marihuana, Koks und Speed, lassen Nikotin und Alkohol aber außen vor. Nur selten und meist nur dann, wenn es im eigenen Umfeld bekannt wird, erinnert man sich gegenseitig, dass auch Alkohol als Droge gilt. Bis zum nächsten Schluck jedenfalls. Dabei ist gerade diese Substanz die Gesellschaftsdroge schlechthin. Daniel Wagner weiß das und auch, wie es ist, sich in ihr zu verlieren.

In seinem Buch „Trocken“ beschreibt er seinen Weg hinaus aus der Sucht. Mit 22 Jahren wird er Werbetexter in einer großen Agentur und alkoholkrank. Beziehungen, Jobs und seine Psyche leiden nicht nur, sondern zerschellen gnadenlos an diesem Monster, als das er die Sucht beschreibt.

Mit 3,8 Promille im Blut fühlt er sich nüchtern. Mehrfach versucht er trocken zu werden, durchlebt immer wieder Rückfälle, mal mehr, mal weniger schlimm. Bis es dann eines Tages funktioniert.

„Alles wird war“

Dieses Buch ist erschütternd, augenöffnend, unglaublich roh und macht fassungslos. Und es ist auch – ja, dieser Begriff fällt tatsächlich in einer Rezension über ein Buch eines trockenen Alkoholikers – berauschend. Denn Daniel Wagner schafft es, der Tragik und Dramatik dieser, seiner, Geschichte so viele klug formulierte und wunderschöne Sätze beizufügen, dass es einer beinahe unmöglich scheint, das Buch wegzulegen. 

Trocken von Daniel Wagner (c) Kremayr & Scheriau 2025, Esther Varga

Dabei verfällt er niemals in Selbstmitleid und schreibt keinen klassischen Suchtbericht. Vielmehr legt er die eigenen psychischen Abgründe schonungslos offen und erzählt über seine Depressionen und seine Angststörung. Beinahe unheimlich nahbar schreibt er über seinen und den gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol und allen, die sich ihm verwehren.

Dabei rechnet er immer wieder mit jenen ab, die ein Nein nicht verstehen und mit „Ah geh, ein Bier ist kein Bier“ quittieren. Zurecht befindet sich Wagner daher mit seinem Buch auf der Longlist für den österreichischen Debütpreis.

„Scheiß auf alles“

Es ist beeindruckend, wie ein Mensch so vieles durchleben und darüber so schreiben kann, wie Wagner es tut. Gut, sein beruflicher Background als Werbetexter rührt auch nicht von ungefähr. Dennoch begeistert der Text, weil er eben nicht titelgebend trocken, sondern bildlich und lebhaft geschrieben ist.

Weil Sätze wie „Die Hölle, sie ist nur zwei Quadratmeter groß“ den Sog dieses Buches ausmachen. Und weil Wagner die Worte so setzt, als würde er einer ins Gewissen reden. Es fehlen die Abkapselung von der Realität, die Abgehobenheit von gesprochener Sprache und damit die Entfremdung zwischen Text und Leserin. Daher geht dieses Buch auch so nahe, macht betroffen und erleichtert zugleich: Es kann auch wieder gut werden.

Eine große Empfehlung

„Trocken“ ist ein herausragendes Debüt, nicht nur auf literarischer Ebene, sondern auch, weil es ein so wichtiges Thema behandelt. Erschütternd ist, dass bei Internetsuchen danach, sofort Alkohol als gesponsorter Link angepriesen wird. Und gerade deshalb ist dieses Buch eine große Empfehlung. Für alle, die gute Literatur und jene, die die ehrliche Geschichte eines trockenen Alkoholikers lesen möchten. 

Auch Schulen täten gut daran, dieses Werk auf Leselisten zu setzen. Um aufzuklären und darüber miteinander zu sprechen. Denn wenn eines nach „Trocken“ klar ist, dann, dass uns als Gesellschaft noch ein weiter Weg im Umgang mit der Volksdroge Nummer Eins bevorsteht.

Daniel Wagner, „Trocken“. € 24,- / 176 Seiten. Kremayr & Scheriau, Wien 2025

Schau hier her → Look here → Buraya bak → Pogledaj ovde → Nézd ide → Guarda qui → انظر هنا → Podívej se sem → Spójrz tutaj → Посмотри сюда → Виж тук → Nhìn đây →

knisternde Beiträge:

"Kultur ist nachhaltig" vegan" lit oida" glutenfrei" neurodivergent" neutral" kulturell" nonbinär" geil" Hafermilch?" chaotisch" richtig" bunt" verständnisvoll" multi" direkt" ...FÜR ALLE"