Wie „betroffen“ muss man sein, um etwas beitragen zu dürfen? Wie nahe muss man am Ereignis dran gewesen sein? Gibt’s ein “too much”? Sollte der Erfurter Amoklauf durch die detailreichen Untersuchungsberichte und andere Schriftstücke nicht quasi erledigt sein? Diesen und weiteren Fragen widmet sich Kaleb Erdmann in seinem neuen Werk „Die Ausweichschule“.
Der Erzähler verarbeitet den Erfurter Amoklauf, den er als Unterstufenschüler selbst miterlebt hat. Darüber zu schreiben, steht für ihn schon seit Jahren fest. Doch seine eigenen Ängste hielten ihn bisher zurück. Erst durch die Begegnung mit einem Dramatiker, der seine inneren Bilder für sein neues Theaterstück heranziehen möchte, wird ihm immer mehr bewusst, dass es auch für ihn eine heilende Reise sein könnte.
Holpriger Start und Überwindungskraft
Die chaotische Gedankenwelt des Erzählers zeigt sich durch einen holprigen Start in die Erzählung: Themenwechsel oder andere Handlungsstränge nach gefühlt jedem Paragraphen, viele abweichende Gedanken, wie auch Schilderungen über seine Antriebslosigkeit und fraglichen Gewohnheiten.

Es hat mich Überwindung gekostet, dran zu bleiben. Anfangs konnte ich der Geschichte nicht folgen. Auch die eigentliche Thematik hielt sich auf den ersten 100 Seiten eher im Hintergrund. Nach der Zeit wurde es leichter, doch erst gegen Ende hatte ich den Eindruck, diese Fragilität tatsächlich verstehen und sehen zu können.
Was Trauma auslösen kann
Der Schmerz ist durch das gesamte Werk hinweg spürbar. Die offensichtlich noch nicht ver- und bearbeitete traumatische Erfahrung zerrt an seinen Kräften. Auch als Leser*in spürt man das Durcheinander und die Verunsicherung im eigenen Körper.
Es ist ein Buch, das die Zerbrechlichkeit eines Menschen aufgrund eines erschütternden und verängstigenden Ereignisses widerspiegelt und aufzeigt, welche tiefen Spuren von Chaos sie hinterlassen können. Es sendet ein wichtiges Signal an unsere Gesellschaft: Geschehnisse wie diese können Nachwirkungen auf uns alle haben – egal, ob sie direkt oder am Rande miterlebt wurden.
Kaleb Erdmann, „Die Ausweichschule“. € 23,50,- / 304 Seiten. Park, Berlin 2025.


