Wie lang kann Trauer dauern? Und wie lang die Liebe? Sabine Gruber schildert in ihrem Roman „Die Dauer der Liebe“ auf 250 Seiten eindrucksvoll von der Tragik, die ein plötzlicher Tod mit sich bringt.
Renata und Konrad waren ein Vierteljahrhundert liiert. Bis ein Polizist in Renatas Leben tritt, um ihr von Konrads plötzlichem Tod zu berichten. Herzinfarkt. Auf einem Rastplatz. Die zärtliche Gemeinsamkeit jäh und endgültig unterbrochen.
Er: Konrad, ein Bildkünstler, spezialisiert auf den faschistischen Städtebau Norditaliens. Sie: Renata, Übersetzerin für das Italienische. Konrads Familie wird für Renata zum ungeahnten Albtraum. Die jahrelange Liebe scheint keinen Wert zu haben, die letzten Wünsche des Verstorbenen werden unwichtig. So plant die Familie ein kirchliches Begräbnis, ungeachtet der Tatsache, dass der Verstorbene schon lange aus der Glaubensgemeinschaft ausgetreten ist, und fällt wie die Geier über sein Erbe her. Als Renata ein gut gehütetes Geheimnis Konrads zu entdecken scheint, ändert sich für sie vieles.
Bewerbung für das Jenseits
„Ich kann das nicht, sagt Renata zu Bruno. Ich kann nicht über Konrad schreiben. Es kommt mir so vor, als stellte ich seine Bewerbungsunterlagen für das Jenseits zusammen. Und dann müssen sie noch durch die familiäre und kirchliche Zensur.“
Was Renata angesichts der zu schreibenden Trauerrede für ihren Konrad empfindet, schleicht sich, wenn auch mancherorts nur indirekt, durch den ganzen Roman. Der Verlust des Lebenspartners, der einhergehende Schmerz, die Boshaftigkeit der Schwiegerfamilie, die es schier unmöglich erscheinen lässt, anständig zu trauern.
Fast schon möchte man meinen, dass viele persönliche Elemente in diesen Roman eingeflochten wurden. Schließlich starb auch Sabine Grubers Lebensgefährte 2016 nach zwanzigjähriger Partnerschaft plötzlich. So verwundert es nicht, dass diese Geschichte unglaublich nah geht. Einem Trauerprozess nachempfunden, werden der erzählte und empfundene Schmerz im Laufe der Erzählung jedoch weniger, als Leser*in wird die Situation erträglicher.

Feine Klinge und poetische Tiefe
Sabine Gruber schafft in ihrem Roman ein Bild von einer Frau um die sechzig, die, von Trauer gebeutelt, in einen passiven Zustand verfällt. Sie lässt die Lesenden tief in ihren Charakter eintauchen, zeigt ihnen die Ambivalenz aus schönen Erinnerungen an das gemeinsame Leben und die bodenlose Verzweiflung der plötzlichen Leere.
Immer wieder erinnert Renata sich an das gemeinsame Leben. Gruber lässt mit feiner Klinge und poetischer Tiefe, dennoch klarer Sprache, das Leben dieser plötzlich Alleinstehenden dahinplätschern und reißt die Geschichte zwischendrin aus ihrer Passivität heraus.
Sex ab Sechzig
Etwa wenn sie der Frau etwas zugesteht, das ansonsten nur selten zur Schau gestellt wird: die aktive Sexualität einer Sechzigjährigen. Sie reiht sich neben poetisch anmutende Träumereien über das Vergangene, die brutale Kraft der Trauer und den Witz der Menschen, die ihr zur Seite stehen.
„Eine Weile betrachtet Renata einen fickenden breitschultrigen Mann, auf dessen Brustkorb ein Tiger die Zähne fletscht. Welche Frau möchte auf Dauer als Beute unter einem Raubtier zu liegen kommen? Renata schaltet das iPad aus, schließt die Augen. Auf ihre Finger ist noch immer Verlass.“
Sabine Gruber legt hier etwas offen, das bei Frauen jenseits der Dreißig im sonstigen kulturellen Diskurs nur leise Anklang findet – das Pornöse, die Selbstbefriedigung, die Lust. Sie zeigt, was im Rahmen des Verlustes oft in Vergessenheit gerät. Nämlich, dass neben der überbordenden Trauer eine Person übrig bleibt, der der Körper genommen wurde. Zwar nicht der eigene, dennoch einer, an den man sich anlehnen konnte und in dem es möglich war, zu versinken.
Diese Einschübe wirken immer wieder leicht komisch, was der Platzierung als jähe Erinnerung im Alltag und der teilweise ungeschönten Sprache zuzuschreiben ist. Immer wieder finden sich Worte, die wie aus der Zeit gefallen scheinen, gleichzeitig aber den Takt des Paares wunderbar einfangen.
Die Abgründe der Trauer
So zeichnet der Roman Seite für Seite einen Trauerprozess mit den hässlichen Facetten der Gier und der Machtlosigkeit gegenüber der Realität nach. Zum Beispiel, als Konrads Bruder das Sommerhaus ausräumt und den Inhalt online verscherbelt. Zwar wird sowohl mit der erzählten Zeit als auch mit scheidender Seitenanzahl die Trauer kleiner und die Gefühlswelt weniger stumpf, sodass Renata sich auch bald ins Dating-Leben stürzen kann. Allerdings haben in der Zwischenzeit zu viele Wiederholungen den Erzählstrang übermannt. So wird beispielsweise immer wieder von Konrads Architektur-Versessenheit und faschistischer Baukunst erzählt. Es wirkt, als klammere sich die Protagonistin an diesen Details wie am letzten Strohhalm fest.
„Konrad geht mir verloren, sagt Renata. Ich kriege ihn kaum noch zu fassen.“
Im Lesefluss stören diese Wiederholungen zum Teil, sind an der ein oder anderen Stelle gar lästig. Dennoch schafft Gruber es, die elementaren Momente der Trauerbewältigung in Sprache zu meißeln und ihnen so ein Zuhause zu geben. Sie zeigt eindrücklich, wie wichtig Freund*innenschaft in schweren Zeiten und wie tief die eigenen Abgründe sind. Und wie viel Kraft es kostet, jemand Geliebtes zu verlieren.
Sabine Gruber, „Die Dauer der Liebe“. € 25,50 / 251 Seiten. C. H. Beck, München 2023


