Der Krieg der Knöpfe – Volksoper Wien ** französische Lebensfreude und Steinschleudern

“Was hat das Leben schon für’n Sinn, wenn ich nicht frei und lustig bin?” – Die Kinder aus Longeverne

Jungs gegen Mädchen, Gallier gegen Römer: Wer hat eigentlich mit dem Schwachsinn angefangen? In “Krieg der Knöpfe” tragen die Kinder die Streitereien ihrer Ur-ur-ur-ur-ur-Großeltern aus und beweisen wieder einmal, dass wir Erwachsene das Leben viel zu wenig genießen – und Auseinandersetzungen viel zu ernst nehmen. 

Worum geht’s?
Die französischen Dörfer Longeverne und Velrans befinden sich seit Generationen im Streit. Während die Erwachsenen die Feindseligkeiten “nur” verbal austragen, treffen sich die Kinder im Wald zum Kämpfen – mit Steinschleudern und Fäusten. Die Gewinner des jeweiligen Kampfes schneiden den Verlierern die Knöpfe von der Kleidung ab, was wiederum für Ärger bei den Eltern sorgt. Die Mädchen wollen mitkämpfen, werden jedoch lange ausgeschlossen – bis sie den Jungs eine Idee für ihren Gewinn liefern. Sie sollen einfach nackt kämpfen. Die Eltern sind recht unbeteiligt und dauernd nur mit ihren Jobs beschäftigt. Der einzige, der sich aktiv für die Kinder interessiert, ist der Dorflehrer Louis. Einer muss ihnen immerhin die französischen Werte beibringen: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit!

Begeisterte Kinder und amüsierte Erwachsene – die höchste Kunst.

Eine Mittagsvorstellung in der Oper zu besuchen, ist immer etwas ganz Besonderes. Überall laufen Kinder herum, Eltern gehen gestresst zu den Garderoben, um Rucksäcke abzugeben. Es liegt Vorfreude und ein bisschen Anspannung in der Luft. Kinder sind das ehrlichste Publikum: Wenn ihnen langweilig wird, werden sie unruhig. Schafft man es jedoch, sie zu begeistern und in den Bann zu ziehen, machen sie lautstark mit. Letztendlich ist das eigentlich das Ziel von jeder anderen Vorstellung auch, bei Stücken für Familien wird es aber noch wichtiger. 

Mit vereinten Kräften ist alles leichter. – Kinderchor der Volksoper Wien © Barbara Pálffy, Volksoper Wien

Umso besser ist es, dass schon beim Betreten des Saales großes Staunen ausbricht. Denn die Bühne sieht aus wie ein Portal in ein französisches Dorf. Der Orchestergraben ist geschlossen und überdacht, eine Loge wurde in ein Baumhaus verwandelt. Auf der Leinwand im Hintergrund werden durch wandernde Sonne und Mond Tag und Nacht unterscheidbar – und auch, wie viele Tage während des Stücks vergehen. Die Musik wird von einer kleinen Gruppe von Musikant*Innen geliefert – Gitarre, Schlagzeug, Violine, Akkordeon – und ist absolut ausreichend. Gesprochen wird auf deutsch, gesungen auf deutsch und französisch, Übertitel gibt es keine. Die braucht es aber auch nicht. Erstens würden sie die Zuschauer*innen, vor allem die Kinder, bei diesem Stück nur ablenken. Zweitens sind die Stimmen dank Mikrofonen verstärkt und das gesamte Ensemble spricht und singt extrem deutlich und verständlich. 

Empfehlung für das Programmheft: Es wird ein “Brettspiel” mitgeliefert, das die Kinder vor uns sehr begeistert hat. 

Das Stück beginnt und es wird ruhig im Saal. Das einzige, was man von den Kindern noch mitbekommt, sind staunende Gesichter mit offenem Mund. Lautes Lachen an allen richtigen Stellen und einzelne Ausrufe von den ganz mutigen, wenn zum Beispiel die Sänger*Innen auf der Bühne sich (natürlich absichtlich) blöd stellen. Den Erwachsenen geht es ähnlich. Immerhin sind in jedem Familienstück Stellen eingebaut, die die Kinder erst in ein paar Jahren verstehen werden. Diese Balance zu halten, ist der besondere Zauber. 

In Deckung und Steinschleuder zücken, denn hier kommen die Velrans! – Kinderchor der Volksoper Wien © Barbara Pálffy, Volksoper Wien

Über Bandenkrieg und Freundschaft

Wenn die zwei Kinderbanden aus Longeverne und Velrans im Wald zusammentreffen, gibt es keine Gnade. Da wird mit Steinschleudern geschossen und geprügelt und gerauft – außer, es gibt unbeteiligte Verletzte. Denn wenn jemand zu einem “Time Out” aufruft, wird das respektiert. So auch, als ein Hase getroffen wurde. Da unterhalten sich plötzlich einzelne Jungs aus gegnerischen Teams, bis der Hase verarztet ist und die Prügelei weitergehen kann. Schnell wird klar: Sie kennen sich alle eigentlich gut und wären wahrscheinlich sogar Freunde, wenn da nicht der über Generationen weitergegebene Streit wäre.

Für einen verletzten Hasen wird alles stehen und liegen gelassen – selbst der längste Streit Frankreichs. – Kinderchor der Volksoper Wien © Barbara Pálffy, Volksoper Wien

Aber warum überhaupt dieser Dorf-Streit? Bei einer gemeinsamen Jause reden die Kinder aus Longeverne kurz darüber. Vor Ewigkeiten haben sich die Dörfer in der Kirche am Berg getroffen, um gemeinsam zu beten. Die einen haben für Dürre, die anderen für Regen gebetet. Das Ergebnis war ein Hagel und seitdem sind Longeverne und Velrans verfeindet. Absurd? Definitiv. Aber leider nicht weit hergeholt. Immerhin sind viele Konflikte unserer Menschheitsgeschichte nur aufgrund von Ego und nachtragenden Menschen weitergeführt worden. 

“Glaubst du, wenn wir groß sind, sind wir auch so dumm wie die?” – Lebrac zu Aztec (aus: “Krieg der Knöpfe”) 

Dazu kommen augenscheinlich unbeteiligte Eltern, die sich eigentlich nur Sorgen machen und ihre eigenen Probleme in den Aktionen ihrer Kinder wiedererkennen. Die Mädchen, die auch kämpfen wollen, aber nur zum Nähen der kaputten Kleidung mitgenommen werden. Die Sache mit dem Internat, mit dem immer wieder gedroht wird, wenn man sich nicht benimmt. Und dann wäre da noch das schöne Thema der Jugendliebe, die mit 14 Jahren einfach unvermeidbar ist…  

Familie, Liebe und Lebensentscheidungen: Ein abruptes Ende

Tatsächlich wird der Konflikt zwischen den Dörfern nur in einem Satz angesprochen. Schade, denn genau hier hätte ich gerne mehr erfahren. Doch die Erzählung wird mit einem etwas sehr spontanen “Ich will tanzen” von einem der Mädchen unterbrochen und schon ist der “ernste” Moment vorbei. Auch der Konflikt zwischen Lebrac und seinem Vater wird sehr abrupt aufgelöst. Lebrac wird das Internat angedroht, wenn er sich nicht benimmt. Am Ende klettert er auf den höchsten Ast eines Baumes, denn „Was hat das Leben schon für einen Sinn, wenn ich nicht frei und lustig bin?”. Die Aktion löst den Konflikt zwischen den Dörfern, indem sich plötzlich der Fokus aller Beteiligten verschiebt. Schließlich merken die Eltern, dass die Freude und das Wohlbefinden ihrer Kinder eigentlich das Wichtigste ist. Und die Kinder erkennen, dass sie sich eigentlich eh alle gern haben. 

Sinneswandel, oder so. – Kinderchor der Volksoper Wien, Andrea Wild (Gitarre), Peter Lesiak (Marcel Lebrac, Lebracs Vater) © Barbara Pálffy, Volksoper Wien

Am Schicksal von Lebrac ändert es allerdings, überraschenderweise, nichts: Er muss trotzdem ins Internat. Am Bahnsteig trifft er seinen langjährigen “Feind”, den Bandenführer der Velrans-Kinder und fragt sich: Werden auch sie so deppert, wenn sie groß werden? Das Ende kommt etwas überraschend und spielt in eine schon gewöhnte Erzählung bei Jugend-Geschichten ein. Egal, was Kinder tun und egal wieviel Sinn dahinter steckt, letztendlich entscheiden die Erwachsenen. (Siehe auch: quasi alle “Young Adult” Fantasy oder Post-Apokalyptischen Romane wie Hunger Games, Divergent, Maze Runner oder, der Klassiker, Harry Potter) Schade eigentlich, wenn es einfach nur ein ehrliches Gespräch zwischen allen bräuchte.

Letztendlich ist “Der Krieg der Knöpfe” ein wunderschönes Stück über alles, was uns als Menschen ausmacht.

Kinder sind ehrlich und laut, in allen Bereichen. Wenn sie lieben, lachen oder weinen – man weiß es sofort. Dass wir als Erwachsene oft vergessen, dass man nicht alles hinunterschlucken muss, ist (leider) unser Problem. Solange wir uns jedoch manchmal von den Kindern in dieser Welt und ihren Ideen inspirieren lassen, kann es nur besser werden.

Nicolaus Hagg (Louis, der Lehrer) mit dem Kinderchor der Volksoper Wien © Barbara Pálffy, Volksoper Wien

Fazit: Schöne Bühne, musikalisch und schauspielerisch ausgeglichen, angenehm kurzweilig.

Grundsätzlich hatte das Stück ein gutes Tempo. Die Lieder sind teils bekannte Stücke, die die Meisten schon mal gehört haben – von “Champs Elysées” bis “Parole, Parole” – und die eigentliche Hymne “Im Wald regieren wir” steht als Text sogar im Programmheft (Orig. franz. “La mauvaise herbe” von Georges Brassens). Das Ensemble war perfekt aufeinander abgestimmt. Niemand war zu laut, niemand zu leise – und auch die Musik hatte einfach immer die richtige Lautstärke. 

Top Performance von den Kindern, allesamt Mitglieder des Kinderchors der Volksoper Wien. Besonders beeindruckend fand ich das Lied der Mädchen, wo sie die Jungs zurechtweisen. Ganz nach dem Motto “Alles was ihr könnt, können wir schon lange”! Ehrlich, emotional und stimmlich sowie schauspielerisch absolut stabil: Watch out for them! 

Am 16.02.2025 auf der Bühne: 
Finn Kossdorff, Hans Schmutzhard, Finley Hasler, Philipp Gruber-Hirschbrich, Simon Ferlesch, Daniele Yvon, Anna Rösel, Ella Pascu, Philippa Eisinger, Willibald Grassl, Benjamin Hengl, Valentino Deuter, Alexander Fassl, Thomas Appuwa Waduge und Rose Winiwarter. 

Peter Lesiak (Lebracs Vater) und Julia Koci (Maries Mutter) spielen überzeugt die besorgten Eltern, die ihre Gefühle nicht zeigen können. Gesanglich wunderschön, vor allem Koci’s Solo zum “Loslassen und Weiterziehen lassen” ihrer Tochter. Nicolaus Hagg (der Dorflehrer) gewinnt enorme Sympathiepunkte, u.a. weil die Rolle eine wahnsinnig sympathische ist und er auf die einzelnen Stärken und Fähigkeiten der Kinder eingeht. Allrounder Christoph Stocker (Joseph, der Gendarm) sehe ich immer in ähnlichen Rollen: Humorvoll, immer einen Schmäh parat, die Aufgabe, Lacher vom Publikum zu ernten und ernste Situationen aufzulockern. Stocker hat außerdem sein Rollendebüt als Gendarm (16.02.2025) bravourös gemeistert. Bravo tutti

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